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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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ihn eingehen. Oder man würde ihm einen Vorschuss gewähren.
    Wo liegt also das Problem?
    Mit schnellen Schritten verließ sie das Krankenhaus. Wie immer, wenn sie länger als eine Minute über Nathan Moor nachdachte, wurde sie nervös. Weil sie dann stets auf Ungereimtheiten stieß. Seine ihn in komplette Hilflosigkeit stürzende Notlage – die er dabei keineswegs als wirklich verzweifelt zu empfinden schien, so gelassen und unbekümmert wie er auftrat! – entpuppte sich bei jedem näheren Hinsehen als eine zwar schwierige, jedoch von zahlreichen Lösungsmöglichkeiten begleitete Situation. Das größte Hindernis stellte zweifellos seine hoch traumatisierte Ehefrau dar. Aber war es für Livia wirklich das Beste, in einem englischen Krankenhaus zu liegen? Abgesehen von ihrem Mann – der höchst selten an ihrem Bett weilte – versuchten Ärzte und Schwestern ständig, in einer ihr fremden Sprache in ihre Umnachtung vorzudringen. Livia sprach ein gutes und flüssiges Englisch, aber Virginia war sich sicher, dass in ihrer augenblicklichen Lage größere Erfolge zu erzielen gewesen wären, hätte man sie in ihrer Muttersprache anreden können. Ein weiterer Punkt, den sie bei Nathan vorbringen musste. Wenn sie den Mut zu dem Gespräch denn überhaupt fand.
    Er müsste von allein darauf kommen, dachte sie ärgerlich, als sie in ihr Auto stieg, dessen Scheiben von der hereingetragenen Feuchtigkeit sofort beschlugen, er dürfte mich gar nicht in die Situation bringen, ihn mehr oder weniger hinauskomplimentieren zu müssen. Wenn ich ihm sage, dass ich zu Frederic fahre, müsste er von sich aus sofort sagen, dass auch er spätestens am Freitag mein Haus verlassen wird.
    Aus gutem Grund beschlich sie jedoch die Ahnung, dass er das nicht tun würde. Wie hatte ihn Frederic genannt? Eine Zecke. Ein böses Wort. Zecken wurde man nicht einfach los. Man konnte sich schütteln und sich kratzen, sie fielen nicht ab, waren wie verwachsen mit ihrer Nahrungsquelle. Erst wenn sie satt waren, so vollgesogen mit Blut, dass sie fast platzten, ließen sie freiwillig los. Dick und fett plumpsten sie zur Erde. Übertrugen vorher aber unter Umständen noch gefährliche Krankheiten, die ihre Opfer sogar das Leben kosten konnten.
    Jetzt ist Schluß, befahl sie sich und reihte sich in den wegen des fürchterlichen Wetters eher vorsichtig dahinfließenden Straßenverkehr ein, es ist nicht fair, so über einen anderen Menschen zu denken. Er ist keine Zecke. Er saugt mich schließlich nicht aus.
    Was will er dann?
    Sie überlegte, ob es um Geld ging. Er hatte sich einen Betrag von ihr geben lassen, er würde es vielleicht wieder tun, aber es handelte sich nicht um wirklich nennenswerte Summen. Nichts, wofür es sich lohnte, großen Aufwand zu treiben. Und er fragte nie nach mehr. Ein Mann, der auf Geld scharf war, hätte schon Frederics Abwesenheit genutzt, um wegen weiterer Beträge zu bohren. Er hätte manches erfinden können – Vorauszahlungen für das Krankenhaus etwa. Aber nichts in dieser Art war geschehen.
    Also wieder die Frage: Was will er dann?
    Sie dachte an den Morgen – gestern war es erst gewesen –, als er mit ihrem Foto in der Hand zu ihr getreten war. Wohin ist diese wilde, lebendige Frau verschwunden? Und warum?
    Er hatte ihr zugehört. Am Vortag und auch heute wieder den ganzen Vormittag über. Konzentriert, keine Sekunde abschweifend, ohne ein Anzeichen von Ermüdung oder Langeweile. Warum tat er das?
    Er will mich. Das ist die Antwort. Er will mich.
    Der Gedanke erschreckte sie so, dass sie fast mitten im fließenden Verkehr abrupt auf die Bremse getreten wäre und damit einen Auffahrunfall verursacht hätte. Sie konnte sich gerade noch zusammenreißen, geriet aber dabei ins Schleudern und rutschte auf die Nebenspur hinüber. Sie hörte wütendes Hupen, lenkte rasch auf ihre eigene Spur zurück. Der Fahrer des Wagens, den sie fast geschrammt hätte, zog vorbei und zeigte ihr höchst aggressiv den Mittelfinger. Sie nahm es nur aus den Augenwinkeln wahr. Sie hatte andere Sorgen.
    Als sie in die Gaywood Road einbog, die zu dem kleinen Vorort führte, in dem sich Kim seit Samstag aufhielt, hätte sie plötzlich fast wieder eine Vollbremsung hingelegt. An der Ecke befand sich ein kleiner Coffeeshop, und gerade als sie vorbeikam, ging ein Mann über den gepflasterten Vorplatz mit den zusammengeklappten, im Regen triefenden Sonnenschirmen und den ineinander gestapelten Bistrotischen und Stühlen. Virginia sah ihn nur von hinten,

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