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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Arme nahm. Niemanden, an dessen Schulter sie weinen konnte.
    Sie blieb sitzen und betrachtete weiterhin den schweigenden, stummen Telefonapparat, wünschte sich verzweifelt, er würde läuten, und wusste doch, dass er das höchstwahrscheinlich nicht tun würde.
    Grau und endlos lag der Tag vor ihr. Grau und ebenso endlos scheinend ihr Leben.
     
    2
     
    Frederic Quentin kehrte am späten Nachmittag in seine Wohnung zurück. Er hatte den Vormittag in der Bank in Terminen mit etlichen wichtigen Kunden verbracht, hatte dann ein Mittagessen mit einem Abgeordneten gehabt und sich anschließend zu einem Vier-Augen-Gespräch mit einem führenden Mitglied der Konservativen Partei getroffen. Er war müde, aber es war alles zu seiner Zufriedenheit verlaufen. Überhaupt schien das Glück derzeit auf seiner Seite zu stehen. Was er auch anfasste, funktionierte, und was seine politischen Bestrebungen anging, kamen ihm immer neue, viel versprechende Menschen und Gelegenheiten entgegen. Er hatte das Gefühl, dass gerade jetzt alles stimmte. Er war mit den richtigen Absichten zu den richtigen Zeiten an den richtigen Orten und traf die richtigen Menschen. Er glaubte eigentlich nicht an schicksalhafte Bestimmungen, doch sollte es so etwas geben, dann schien im Augenblick alles und jeder um ihn herum zugunsten seiner, Frederic Quentins, Bestimmung zu agieren: der Bestimmung, seinen Norfolker Wahlkreis im Unterhaus zu vertreten.
    Er sah auf seine Uhr, es war erst halb sechs, und er pflegte nie vor sechs Uhr alkoholische Getränke zu sich zu nehmen, aber er beschloss, am heutigen Tag eine Ausnahme zu machen. Schließlich hatte er etwas zu feiern. Denn so sehr das Glück ihm hold war, so hatte er doch fast nicht zu hoffen gewagt, dass es so weit gehen würde, ihm sogar Virginia nach London zu schicken. Seit sie ihm am gestrigen Morgen telefonisch mitgeteilt hatte, sie werde ihn zu der Party am Freitag begleiten, schwankte er zwischen Euphorie und der bohrenden Sorge, sie könnte es sich anders überlegen.
    Er hatte sie am Dienstagabend wieder angerufen und auch heute früh. Er hatte sie nicht bedrängen, sich aber doch vergewissern wollen. Er hatte über das Wetter geredet, über Kim, ein bisschen über Politik. Das Thema Nathan Moor, sosehr es ihm auf der Seele brannte, hatte er ausgelassen, denn er hatte den Eindruck, dass ihn Virginia in diesem Punkt nicht verstand und dass sie sich von ihm in die Enge getrieben fühlte. Er fand es höchst befremdlich und irritierend, dass dieser seltsame Schiffbrüchige seit nunmehr fünf Tagen in Ferndale wohnte, allein mit Virginia, denn offenbar war auch Kim zwei Nächte lang fort gewesen, und die unglückliche Livia hatte man ins Krankenhaus gesteckt. Es war nicht so, dass er gefürchtet hätte, zwischen Nathan Moor und Virginia könnte sich etwas entwickeln, das seine Ehe bedrohte, denn er hatte ein tiefes und gefestigtes Vertrauen in Virginia, und es war absolut unvorstellbar für ihn, sie könnte aus dem Leben mit ihm und Kim ausbrechen. Aber er konnte den Kerl nicht ausstehen, er war ihm auf den ersten Blick zuwider gewesen. Er traute ihm nicht über den Weg, hatte sofort den Eindruck gehabt, ihm höchstens ein Drittel von allem, was er erzählte, abnehmen zu können. Und was nun geschah, schien ihm seine unguten Gefühle nur zu bestätigen. Der Typ klebte wie eine Zecke an Virginia. War ihr sogar nach Norfolk nachgereist, hatte offenbar irgendwie ihre Adresse herausgefunden und sich schon wieder bei ihr eingenistet. Ließ sich vermutlich von ihr bekochen und schnorrte jede Menge Geld. Erzählte ihr sonst etwas von seiner kranken Frau und hatte wahrscheinlich schon wieder jede Menge Ausreden parat, weshalb er keinesfalls nach Deutschland zurückkehren konnte.
    Blieb die Frage, weshalb sich die intelligente Virginia derart ausnutzen ließ.
    Er konnte sich nur vorstellen, dass sie innerlich einsamer war, als sie es je nach außen dringen ließ. Ferndale House in seiner Düsternis war einfach nicht der richtige Ort für eine junge Frau, deren Mann so häufig abwesend sein musste. Aber sie hatte es so haben wollen. Hatte erklärt, nur dort, nirgendwo sonst, leben zu können. Hatte ihn bekniet, mit ihr dorthin zu ziehen. Hatte behauptet, sich in das Haus auf den ersten Blick verliebt zu haben und gerade seine Düsternis so anziehend zu finden.
    Was hätte er sagen sollen? Mit welcher Begründung hätte er ihr diesen Wunsch abschlagen sollen?
    Und heute ist sie schon froh, wenn sich Schmarotzer bei

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