Das Echo der Schuld
wie gern Jack und ich die Kleine haben!«
Von Jack kam ein zustimmendes Brummen.
Virginia senkte die Stimme. »Nach dem, was Sie mir gerade erzählt haben, Grace, wäre es mir lieb, wenn Sie Kim nicht aus den Augen ließen. Nicht einmal innerhalb des Parks sollte sie sich zu weit von Ihrem Haus entfernen.«
Grace hatte es vor einer halben Stunde im Radio gehört: Das vermisste Mädchen, Rachel Cunningham, war tot unmittelbar hinter den Parkanlagen von Schloß Sandringham aufgefunden worden. Ermordet. Die Polizei gab noch keine Auskunft darüber, ob sie missbraucht worden war.
»Vermutet man, dass es derselbe Täter war wie bei Sarah Alby?«, fragte Virginia. Noch immer sprach sie mit leiser Stimme. Aber Kim hatte jetzt begonnen, der schnurrenden Katze den Bauch zu kraulen, und war völlig abgelenkt.
»Die sind noch sehr zurückhaltend«, sagte Grace, »aber zwei kleine Mädchen aus King's Lynn innerhalb weniger Tage – das gibt schon zu denken. Wenn Rachel Cunningham auch missbraucht wurde, dann glaube ich schon, dass hier irgendein perverser Verbrecher sein Unwesen treibt!«
»Sarah Alby war vier. Rachel Cunningham acht.«
»Na und? Das sind gerade mal vier Jahre Unterschied! Wenn so ein verkorkster Typ auf kleine Mädchen steht, dann ist es ihm bestimmt egal, ob die ein bisschen jünger oder älter sind!«
Wahrscheinlich hat Grace Recht, dachte Virginia.
Kim war sieben Jahre alt. Sie wusste, dass Grace und Jack sie wie ihren Augapfel hüten würden, aber sie waren beide nicht mehr die Jüngsten, und Kim war ein lebhafter Wirbelwind. Sie war es gewohnt, in dem riesigen Park umherzustreifen, auf Bäume zu klettern, Eichhörnchen zu füttern und in dichten Gebüschen verschwiegene Höhlen für ihre Puppen zu bauen. Der Park war von einer Mauer umgeben, die jedoch absolut nicht geeignet war, jemanden am Darübersteigen zu hindern. Kim braucht nur ein Stück vom Verwalterhaus entfernt einem Menschen begegnen, der es nicht gut mit ihr meinte, und Grace und Jack würden nichts davon mitbekommen.
Ausgerechnet jetzt wollte ihre Mutter nach London.
Nein, sie wollte nicht. Ihr wurde, im Gegenteil, fast schlecht, wenn sie daran dachte. Sollte sie Frederic anrufen? Ihm von dem zweiten Mordfall erzählen und ihn bitten, auf ihre Anwesenheit zu verzichten? Er würde es nicht verstehen. Weil er, genau wie sie, das Verwalterehepaar kannte. Weil er wusste, dass nicht einmal die eigene Mutter so fürsorglich auf Kim achten konnte, wie es diese beiden Leute tun würden.
Grace schien zu ahnen, was in Virginia vorging, und legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. »Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Quentin. Jack und ich würden niemals zulassen, dass unsere Kleine in eine gefährliche Situation gerät. Wir werden sie nicht aus den Augen lassen, da können Sie ganz sicher sein!«
Jack kroch ächzend unter der Spüle hervor. »Also wirklich, Mrs. Quentin, haben Sie je Grund zur Klage gehabt? Wir wollen doch selber um Gottes willen nicht, dass etwas passiert! Ich sage Ihnen, wenn so ein perverser Typ sich hier im Park blicken lässt, dem jage ich eine Ladung Schrot in den Hintern! Und dann schneide ich ihm die …«
»Nicht, Jack!«, rief Grace hastig. »Das Kind ist doch hier!«
Jack brummte etwas Unverständliches vor sich hin, angelte nach einem Schraubenschlüssel und kroch wieder in die Dunkelheit hinter dem Vorhang.
Kim streichelte die Katze.
Grace stand rund und zuverlässig zwischen all den lächelnden Gesichtern der Königsfamilie.
Es war ein Bild des Friedens in dieser behaglichen Küche.
Virginia wusste, sie brauchte keine Angst um Kim zu haben. Und sie würde keinen nachvollziehbaren Grund finden, die London-Reise wieder abzusagen.
Am Donnerstag, den 31. August, um 16.15 Uhr würde Frederic sie am King's-Cross-Bahnhof in London abholen.
Ihr war plötzlich so sehr zum Weinen zumute, dass sie sich hastig von den Walkers verabschiedete, Kim an der Hand nahm und fast fluchtartig das kleine Haus verließ. Sie sehnte sich nach ihrer eigenen Küche, der die dichten Bäume jenseits der Fenster alles Licht nahmen und das feindliche Leben weit weg zu verbannen schienen.
Mittwoch, 30. August
1
Liz Alby fragte sich, ob es ein Fehler gewesen war, sich krankschreiben zu lassen. Der Arzt, der ihre Geschichte kannte, hatte ihr keinerlei Schwierigkeiten gemacht.
»Sie brauchen Zeit, dieses furchtbare Geschehen zu verarbeiten«, hatte er gesagt, »und ich denke, es ist in Ordnung, vorläufig nicht zur Arbeit
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