Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
Vom Netzwerk:
geworden. Sie betrat meine Wohnung wie ein Kind, das man mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen hatte – desorientiert, verwirrt, scheu. Als könne sie gar nicht begreifen, dass ihre Tochter dort lebte und, von diesem Tag an, nun auch sie.
    In meiner Fantasie hatte ich mir dieses sehnsüchtig erwartete Wiedersehen als einen Moment überschäumender Freude vorgestellt. Dem war nicht so. Müsste ich die Stimmung mit einem Wort beschreiben, dann wäre es Traurigkeit. Sie sagte kaum ein Wort und zeigte für nichts das geringste Interesse. Sie umarmte mich nur ganz fest und hielt dann meine Hand umklammert, als fürchtete sie, ich würde ihr irgendwohin entwischen. Kein Lachen, keine einzige Träne und nur ein paar Worte, das war alles. Kaum dass sie einen Bissen von alldem probieren wollte, was Candelaria, Jamila und ich für sie vorbereitet hatten: gebratenes Hühnchen, Tortillas, Tomatensalat, frittierte Sardellen, Fladenbrot. Alles, von dem wir annahmen, dass sie es in Madrid schon lange nicht mehr gegessen hatte. Sie äußerte sich weder zu meinem Atelier noch zu dem Zimmer, das ich für sie mit einem großen Bett aus Eichenholz und einer selbst genähten Tagesdecke aus Cretonne ausgestattet hatte. Sie fragte mich weder, was mit Ramiro geworden war, noch wollte sie wissen, warum ich mich in Tetuán niedergelassen hatte. Und natürlich verlor sie auch kein Wort über die Strapazen der Reise, die sie nach Afrika geführt hatte, und sie sprach auch kein einziges Mal über die Schrecken, die sie hinter sich gelassen hatte.
    Es dauerte lange, bis sie sich eingewöhnte. Dass ich meine Mutter einmal so erleben würde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Die resolute Dolores, die in jeder Situation den passenden Ausspruch parat gehabt hatte, hatte sich in eine schweigsame und verschüchterte Frau verwandelt, die ich kaum wiedererkannte. Ich widmete mich ihr in jeder wachen Minute, hörte praktisch auf zu arbeiten: Es standen keine wichtigen Festlichkeiten mehr bevor, sodass meine Kundinnen es in Kauf nehmen konnten, wenn sie warten mussten. Ich brachte ihr jeden Tag das Frühstück ans Bett: Brötchen, churros, geröstetes Weißbrot mit Olivenöl und Zucker darauf, alles, was dazu beitragen konnte, dass sie wieder etwas auf die Rippen bekam. Ich half ihr, sich zu baden, und schnitt ihr die Haare, ich nähte ihr neue Kleider. Es kostete mich Mühe, sie aus dem Haus zu locken, aber nach und nach wurde der morgendliche Spaziergang zur Gewohnheit. Arm in Arm spazierten wir die Calle del Generalísimo entlang bis zu dem Platz, an dem die Kirche stand. Manchmal, wenn es sich gerade so ergab, begleitete ich sie zur Messe. Ich zeigte ihr versteckte Ecken und Winkel, drehte das Radio laut auf, wenn Volksweisen kamen, zwang sie, mir bei der Auswahl von Stoffen zu helfen und zu entscheiden, was wir mittags oder abends essen sollten. Bis sie ganz langsam, Schritt für Schritt, wieder sie selbst wurde.
    Nie fragte ich sie, was ihr in dieser Übergangszeit, die eine Ewigkeit zu dauern schien, durch den Kopf gegangen war. Ich hoffte, sie würde es mir irgendwann erzählen, doch sie tat es nicht, und ich drängte sie nicht. Ich war auch nicht neugierig darauf: Ich ahnte, dass ihr Verhalten nichts anderes war als ein unbewusster Versuch, der Ungewissheit die Stirn zu bieten, die Erleichterung hervorruft, wenn sie sich mit Kummer und Schmerz mischt. Deshalb ließ ich ihr einfach Zeit, sich ohne jeden Druck einzugewöhnen, blieb stets an ihrer Seite, um sie zu unterstützen, falls nötig, und hatte immer ein Taschentuch zur Hand, um Tränen zu trocknen, die sie doch nie vergoss.
    Dass es ihr besser ging, wusste ich, als sie wieder von sich aus kleine Entscheidungen traf: Heute gehe ich mal in die Zehn-Uhr-Messe. Was hältst du davon, wenn ich mit Jamila auf den Markt gehe und einkaufe, was wir für eine Paella brauchen. Nach und nach hörte sie auf, jedes Mal ängstlich zusammenzuzucken, wenn irgendetwas mit einem lauten Krachen zu Boden fiel oder ein Flugzeug die Stadt überflog. Der Gang zur Messe und zum Markt gehörte bald zum Alltag, und danach folgten weitere Veränderungen. Die größte von allen war, dass sie wieder zu nähen begann. Trotz aller Bemühungen hatte ich sie seit ihrer Ankunft nicht dazu bewegen können, auch nur das geringste Interesse für die Schneiderei aufzubringen, als hätte sich über dreißig Jahre lang nicht ihr ganzes Leben darum gedreht. Ich zeigte ihr die Modezeichnungen aus dem Ausland, die ich

Weitere Kostenlose Bücher