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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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seinem Gesicht das matte, bittere Lächeln.
    » Wie lange ist das jetzt her, Dolores?«
    Sie antwortete nicht, hielt aber seinem Blick stand. Da nahm er seine Hand von meinem Arm und reichte sie ihr. Nicht zur Begrüßung, vielmehr schien er den Kontakt, die Berührung zu suchen, als hoffe er, dass ihre Finger sich ihm entgegenstreckten. Doch sie blieb reglos stehen, ohne auf die Versuchung zu reagieren, bis er sich aus seiner Verzauberung löste, sich räusperte und uns höflich, aber betont neutral aufforderte, Platz zu nehmen.
    Statt uns an den großen Schreibtisch zu bitten, auf dem sich die Papiere stapelten, geleitete er uns in eine andere Ecke des Raums. Meine Mutter nahm in einem Sessel Platz, er ihr gegenüber. Ich saß allein, in der Mitte, zwischen den beiden, auf einem Sofa. Angespannt. Unbehaglich war uns allen dreien zumute. Er lenkte sich mit dem Anzünden einer Havanna ab. Sie saß kerzengerade da, die Knie zusammengedrückt. Ich kratzte unterdessen mit dem Zeigefinger an dem bordeauxroten Damastbezug des Sofas, so intensiv, als wollte ich ein Loch in den Stoff bohren und mich darin wie eine Eidechse verkriechen. Die Luft füllte sich mit Rauch, und wieder hörte man ein Räuspern, als sollte eine Erklärung folgen. Doch ehe sie kam, ergriff meine Mutter das Wort. Sie wandte sich an mich, aber ihre Augen waren auf ihn gerichtet. Ihre Stimme nötigte mich, die beiden endlich anzusehen.
    » Nun gut, Sira, dies ist dein Vater, endlich lernst du ihn kennen. Er heißt Gonzalo Alvarado, ist Ingenieur, besitzt eine Gießerei und hat schon immer in diesem Haus gelebt. Früher war er der Sohn und nun ist er der Herr – meine Güte, wie die Zeit vergeht! Es ist nun schon lange her, da nähte ich für seine Mutter. So lernten wir uns kennen, und drei Jahre später wurdest du geboren. Aber stell dir jetzt bloß keine billige Romanze oder etwas in der Art vor, wo der junge Herr sich skrupellos an der armen Schneiderin vergeht! Als unsere Beziehung begann, war ich zweiundzwanzig und er vierundzwanzig: Wir beiden wussten ganz genau, wer wir waren, wo wir im Leben standen und worauf wir uns einließen. Es gab keine Täuschung von seiner Seite und keine überzogenen Erwartungen von meiner. Es war eine Beziehung, die endete, weil sie nirgendwohin führen konnte, denn sie hätte eigentlich nie beginnen dürfen. Ich war diejenige, die entschied, die Sache zu beenden. Er hat uns, dich und mich, nicht verlassen. Und ich war auch diejenige, die darauf bestand, dass du keinerlei Kontakt zu ihm hattest. Dein Vater hat versucht, uns nicht aus den Augen zu verlieren, anfänglich mit großer Beharrlichkeit, die jedoch aufgrund seiner Situation mit der Zeit nachließ. Er heiratete und bekam weitere Kinder, zwei Jungen. Seit langer Zeit hatte ich nichts mehr von ihm gehört, bis ich gestern eine Nachricht von ihm erhielt. Er hat mir nicht gesagt, warum er dich ausgerechnet jetzt kennenlernen will, aber gleich werden wir es erfahren.«
    Während sie sprach, betrachtete er sie aufmerksam und mit großer Hochachtung. Sie schwieg, und er wartete kurz, ehe er fortfuhr. Als dächte er nach, als wolle er seine Worte abwägen, damit sie auch exakt das ausdrückten, was er zu sagen beabsichtigte. Diesen Moment nutzte ich, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen, und das Erste, was mir durch den Kopf ging, war, dass ich ihn mir niemals so vorgestellt hätte. Ich war dunkel, meine Mutter war dunkel, und in den äußerst seltenen Momenten in meinem Leben, in denen ich mir ausmalte, wie mein Erzeuger wohl aussah, hätte ich ihn mir stets so wie uns beide vorgestellt, mit dunklem Haar und dunklem Teint, schlank. Und stets hatte ich meine Vaterfigur mit anderen Leuten aus meinem Umfeld in Zusammenhang gebracht: mit unserem Nachbarn Norberto, den Vätern meiner Freundinnen, den Männern, die ich in den Kneipen und Straßen unseres Viertels sah. Normale Väter, normale Leute: Postangestellte, Verkäufer, Büroangestellte, Kellner oder, wie so viele, Inhaber eines Tabak- oder Kurzwarenladens, eines Gemüsestandes auf dem Mercado de la Cebada. Die Herren, die ich auf meinen Wegen durch die Straßen der Wohlhabenden Madrids zu Gesicht bekam, wenn ich die in Doña Manuelas Schneiderei gefertigten Kleider auslieferte, waren für mich Wesen aus einer anderen Welt. Eine andere Spezies, die in keiner Weise zu dem Bild passte, das ich mir gedanklich von einer Vaterfigur gemacht hatte. Doch vor mir saß eines jener Exemplare. Ein Mann, der trotz seiner

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