Das Echo der Traeume
aus Marokko, wo er so glücklich war, herausgerissen und ihm einen überaus begehrenswerten Posten übertragen, ihn dann aber an Händen und Füßen gefesselt und ihm einen Knebel in den Mund gestopft. Zu keiner Zeit hatten sie seine Ansichten geschätzt, wahrscheinlich hatten sie sie überhaupt nie hören wollen. Weder Eigeninitiative noch eine eigene Meinung wurde ihm zugestanden, sein Name diente lediglich als Lückenbüßer für ein Ministeramt, er sollte ein serviler, kleinmütiger und stummer Staatsdiener sein. Und obwohl ihm die Situation absolut nicht behagte, respektierte er dennoch die Hierarchie und arbeitete unermüdlich an allem, was man von ihm verlangte, ertrug standhaft die systematischen Erniedrigungen, mit denen Serrano Suñer ihn monatelang bedachte. Es begann damit, dass man ihm auf die Füße trat, ihn anrempelte nach dem Motto » Verschwinde, das ist mein Platz!«. Aus den Rempeleien wurden bald demütigende Rüffel, auf die wiederum Schläge in die Magengrube folgten und zuletzt der Messerstich in die Halsschlagader. Und als Beigbeder ahnte, dass sie als Nächstes seinen Kopf unter ihren Stiefeln zermalmen würden, da explodierte er.
Er hatte die Impertinenz und die Überheblichkeit des cuñadísimo satt, war der obskuren Entscheidungen Francos überdrüssig, er war es leid, ständig gegen den Strom schwimmen zu müssen und sich überall fremd zu fühlen, ein Schiff zu steuern, das schon von Anfang an auf falschem Kurs lief. Deshalb, vielleicht weil er wieder einmal seinen schmerzlich vermissten moslemischen Freunden nacheifern wollte, traf er eine – wenn auch voreilige – Entscheidung. Der Augenblick war gekommen, da die diskrete Freundschaft, die er bis dahin mit Hoare gepflegt hatte, ans Licht kommen, publik werden sollte. Diese Freundschaft wie eine Fahne vor sich hertragend, erschien er auf der Straße – auf offener Straße, ohne jegliche Deckung. Draußen, unter der gnadenlosen Sommersonne. Fast täglich aßen sie nun zusammen in den bekanntesten Restaurants, an den am besten sichtbaren Tischen. Und danach spazierten die beiden mit ostentativer Gelassenheit durch Madrids Straßen, Beigbeder hakte sich beim britischen Botschafter unter und nannte ihn » Bruder Samuel«, wie zwei Araber bei einem Gang durch die engen Gassen des maurischen Viertels in Tetuán. Beigbeder herausfordernd, provokant, beinahe quijotesk. Einen um den anderen Tag, in vertrauter Nähe mit dem Gesandten des Feindes plaudernd, hochmütig seine Verachtung für die Deutschen und ihre Freunde demonstrierend. So schlenderten sie am Generalsekretariat der Falange in der Calle Alcalá vorbei, am Sitz ihrer Zeitung Arriba und an der deutschen Botschaft am Paseo de la Castellana, sogar an den Hotels Palace oder Ritz, in denen es von Nazis wimmelte. Damit auch jeder sah, wie gut sich Francos Außenminister und der Botschafter des Feindes verstanden. Und inzwischen lief Serrano Suñer, am Rand des Nervenzusammenbruchs, mit einem Magengeschwür, das ihn innerlich zerfraß, mit großen Schritten in seinem Büro auf und ab, raufte sich die Haare und brüllte, was zum Teufel Beigbeder, dieser Schwachsinnige, mit seinem hirnlosen Verhalten bezwecke.
Obwohl Rosalindas Charme eine gewisse Sympathie für Großbritannien in ihm begünstigt haben dürfte, war der Außenminister doch nicht so unvernünftig, sich ohne guten Grund, aus reiner Verliebtheit, in die Arme eines fremden Landes zu werfen wie jede Nacht in die Arme seiner Geliebten. Dank ihr hatte er eine gewisse Sympathie für diese Nation entwickelt, das ist wahr. Doch wenn er sich Hoare derart vorbehaltlos anvertraute, wenn er seinetwegen alle Brücken hinter sich abbrach, dann musste es andere Gründe gegeben haben. Vielleicht glaubte er an eine Utopie und meinte, dass die Dinge im Neuen Spanien nicht so liefen, wie sie seiner Meinung nach laufen sollten. Vielleicht war es seine einzige Möglichkeit, offen zu zeigen, dass er gegen einen Kriegseintritt Spaniens auf Seiten der Achsenmächte war. Vielleicht war es eine Zurückweisung, eine Reaktion gegenüber demjenigen, der ihn bis zum Äußersten gedemütigt hatte, dem Mann, mit dem er vermeintlich Schulter an Schulter hätte arbeiten sollen, damit das Vaterland, an dessen Zerstörung er sich während des Aufstands so eifrig beteiligt hatte, wieder aus den Ruinen auferstand. Und vielleicht suchte er Hoares Nähe vor allem deshalb, weil er sich in seiner feindseligen Umgebung einsam fühlte, entsetzlich einsam.
Von
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