Das Echo der Vergangenheit
und über die Klippe blickte. »Macht dir die Höhe der Klippen Angst, Matt?«
Er blickte hinunter. »Ich würde nicht auf einem Drahtseil über diese Felsen gehen, aber diese Höhe macht mir nichts aus.«
Sie lehnte sich an den Betonpfeiler, an dem die Metallseile der Aussichtsplattform befestigt waren. »Was dann? Schlangen? Spinnen?«
Er grinste.
»Komm schon. Was lässt Matt Hammond erzittern?«
»Erzittern?« Er drehte sie zu sich um und umfasste rechts und links von ihr die Absperrung. »Du lässt mich erzittern.«
Sie boxte gegen seine Brust. »Ich meine vor Angst.«
»Ich auch.«
»Willst du damit sagen, ich mache dir Angst?«
»Eine Heidenangst.«
»Warum?«
»Du bist wie eine Sirene, die mich von meinem Kurs abbringen will.«
Sie verschränkte die Arme. »Und was ist das für ein Kurs?«
»Meine Gewissheit. Meine Wirklichkeit. Sogar meine Alltäglichkeit.«
»Du bist ja wohl kaum alltäglich.«
»Ich stehe auf. Ich arbeite. Ich esse. Ich schlafe.«
»Du veränderst das Leben von Menschen.«
»Na ja, vielleicht.« Er betrachtete die Form ihrer Augen, den Bogen ihrer Brauen. Für eine solche Schönheit würde ein Mann alles tun. »Ich dachte, ich hätte alles im Griff. Und dann bist du aufgetaucht. Als ich dich das erste Mal sah, konnte ich kaum atmen, das kann ich dir sagen.«
Sie lächelte. »War das der Grund, warum du meine Hand nicht losgelassen hast?«
»Ich glaube, die Zeit ist für eine Weile stehen geblieben. Und ich kann es ihr nicht verdenken.«
Sie lachte. »Und das macht dir Angst?«
»Angst macht mir, dass ich nicht will, dass sie weiterläuft. Der Tag heute hat nur vierundzwanzig Stunden, aber ich will, dass jede von ihnen ewig dauert.«
»Sehr poetisch.«
»Und das bin ich gar nicht. Siehst du, du bringst etwas in mir zum Vorschein, das nie da war.«
»Stimmt nicht. Ich habe dich mit Diego gesehen. Ich habe die Reime gehört, die du gemurmelt hast.«
»Aber das war nicht ich. Das war Eugene Field.« Er lächelte schief. »Mein Lieblingsdichter.«
»Warum?«
Er zuckte mit den Schultern. »Der Mann mochte Kinder, verstand den Zauber. Und seinen Sohn zu verlieren, hat ihn beinahe umgebracht.« Er starrte auf das Meer hinaus, das hinter ihr lag, und die Worte kamen ihm in den Sinn.
»,Gestern Nacht, als mein geliebtes Kind tot lag,
kniet’ ich in Pein mich hin und sprach:
‚Oh Gott! Was habe ich nur getan
oder auf welche Weise dich gekränkt,
dass du beschlossest, mir zu nehmen
den kleinen Sohn?‘«
Seine Brust zog sich zusammen. Hatte Dad sich jemals Vorwürfe gemacht? Hatte er einen Gott infrage gestellt, der einen Menschen wie seinem Vater solche unangemessene Macht über ein junges Leben gab? Seine Stimme klang rau.
»,Auf all die tausend nutzlosen Leben,
auf all die Schuld, die brüstend sich gedeiht,
wäre dein Zorn wohl recht verwandt!
Warum nahmst meinen kleinen Sohn du mir?
Warum erhebt dein Zorn sich auf
dies Unschuldslamm?‘«
Sofie sah ihm prüfend in die Augen. »Willst du damit sagen, dass Gott ungerecht ist?«
»Das hebe ich mir für einen anderen Tag auf.«
»Was dann?«
»Field fragte, was er verbrochen hatte, dass Gott ihm sein Kind nahm.«
Sofie erstarrte. »Was hatte er denn getan?«
»Ich weiß es nicht. Aber die Tatsache, dass er fragte, war wichtig.«
* * *
Sofie konnte Matts Worte nicht vergessen. Es überraschte sie, dass er sich die Qualen eines Mannes eingeprägt hatte, der mit Gott kämpfte, obwohl er selbst nicht glaubte, dass es Gott gab. Aber das Gedicht hatte Matt ein Modell gezeigt, das er bewunderte, eines, das sich von dem Vorbild seines eigenen Vaters unterschied, von dem Beispiel, von dem er fürchtete, er könnte ihm folgen.
Er musste jemandem die Schuld an dem geben, was geschehen war, aber beide Erwachsene schienen die Verantwortung abzulehnen, sodass er als Einziger übrig blieb. Sie kannte diese Last nur zu gut. Vielleicht war deshalb zwischen ihnen eine Verbindung auf einer tieferen Ebene entstanden, als sie erwartet hatte.
Als sie nach Sonoma zurückfuhren, lehnte sie den Kopf an seine Schulter. Diese Schultern würden die Last ihrer Vergangenheit tragen, wenn sie es zuließ. Aber konnte sie das?
Lance’ Gebet in der vergangenen Nacht hatte sie wieder in den Schlaf gewiegt, aber es hatte nicht die Erleichterung gebracht, die sie sich erhofft hatte. Der Traum war so echt gewesen und Matts Stimme war eine von denen, denen sie widerstand. War es fair, ihm Hoffnungen zu machen? Aber der Gedanke, ihn gehen zu
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