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Das Echo der Vergangenheit

Das Echo der Vergangenheit

Titel: Das Echo der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Heitzmann
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sich so groß, wie es ging, streckte sich und holte die schwarzgraue Schachtel vom obersten Bord.
    Er würde sie umbringen, wenn er sie hier erwischte, aber sein Schnarchen war über den Flur zu hören. Sie glaubte nicht, dass er so tun würde, als ob er schnarchte. Es gefiel ihm überhaupt nicht, wenn er hörte, dass er es tat. Wenn eine der Frauen, die herkamen, es erwähnte, traf er sich nie wieder mit ihr.
    Sie kletterte von der Arbeitsplatte runter und ging auf Zehenspitzen in ihr Zimmer zurück. Bevor sie hineinschlüpfte, lauschte sie kurz. Dann umfasste sie den Türknauf und schloss die Tür mit einem ganz leisen Klicken. Sie machte sie nur abends zu, aber selbst dann war sie morgens immer offen, weil Daddy nach ihr sah. Vielleicht sogar mehr als einmal.
    Bitte lass ihn nicht jetzt nachsehen! Ihr Herz hämmerte. Aber nichts geschah.
    Sie nahm den Deckel von der Schachtel und leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Die Schachtel war voller Fotos. Das oberste nahm sie in die Hand und betrachtete die Frau. Sie erinnerte sich nicht an sie … aber konnte es sein …?
    Den Kloß in ihrem Hals schluckte sie hinunter, legte das Foto auf ihr Bett und nahm das nächste. Dieselbe Frau, dieselbe Straße. Sie sprach dort mit jemandem und schob sich die Haare hinters Ohr. Das Bild war unscharf, wie Carlys Gedächtnis. Warum konnte sie sich nicht erinnern?
    Sie sah das nächste Bild an und das übernächste und kramte dann in der Schachtel nach denen weiter unten. Ihre Hände zitterten. Alle Fotos zeigten dieselbe Person. Es musste Sofie sein. Sie griff in die Schachtel und holte das unterste Foto heraus. Ein tiefer Schmerz brannte in ihrer Kehle. Die Frau sah viel jünger aus und hielt ein Baby mit einem so liebevollen Blick, dass Carly die Tränen kamen, bevor sie sie zurückhalten konnte.
    Sie wischte sie fort, damit sie die Fotos sehen konnte. War sie das Baby? Hatte Sofie sie so angesehen, wenn sie sie auf dem Arm hielt? Die Taschenlampe flackerte. Sie blickte zur Tür und lauschte. Dad hatte aufgehört zu schnarchen. Die Schachtel konnte sie nicht zurückbringen, denn vielleicht war er wach. Zitternd vergrub sie das Bild wieder ganz unten in dem Karton und nahm die anderen vom Bett.
    Aber die beiden aus der Mitte – sie konnte sich nicht mehr erinnern, wo sie genau gelegen hatten. Sie hätte es sich merken müssen. Panik stieg in ihr auf. Ihr Magen schmerzte. Sie drehte die Bilder um, aber in dem schwindenden Licht der Taschenlampe konnte sie keine Namen oder Daten darauf erkennen.
    Sie legte die beiden Fotos oben auf und schloss die Schachtel. Morgen früh würde sie herausfinden, wohin sie gehörten … irgendwie. Und sie würde den Karton zurückbringen … irgendwie. Sie schob ihn unters Bett und kroch unter die Decke. Dabei stieß ihr Fuß gegen etwas. Die Taschenlampe.
    Sie setzte sich auf und versteckte gerade die Lampe unter ihrer Bettdecke, als die Dielen im Flur knarrten. Hatte sie die Tür zugemacht, als sie zu Bett gegangen war? Er würde es wissen, wenn nicht. Er würde wissen, dass sie auf gewesen war. Sie drückte das Gesicht in ihr Kissen und schloss die Augen.
    Die Tür klickte und ging auf. Schummriges Licht fiel vom Flur herein. Sie spürte den Schatten, der näher kam und sich über sie beugte. Bitte lass ihn glauben, dass ich schlafe! Oder warte. Besser, ich bewege mich. Dann denkt er, er hätte mich gestört . Sie gab einen schläfrigen Laut von sich und drehte den Kopf auf dem Kissen, ohne die Augen dabei zu öffnen, sonst müsste sie mit ihm reden.
    Er trat zurück. Geh weg, geh weg, geh weg . Es sollte ein Trost sein, zu wissen, dass er sie im Schlaf beobachtete. Ihr Daddy liebte sie so sehr, dass er ihr beim Schlafen zusah. Aber im Moment wollte sie, dass er wieder ins Bett ging. Er schloss die Tür nicht, aber das Licht im Flur ging aus. Noch immer rührte sie sich nicht. Sie atmete tief ein und aus, damit es so klang, als schlafe sie, auch wenn ihr das Herz bis zum Halse schlug.
    Tick. Tick . Die Uhr auf ihrem Nachttisch. Waren diese langen Zeiträume Sekunden?
    Beweg dich nicht. Warte . Ihr Bauch tat ihr weh. Noch ein Knarren. Geräusche in Dads Zimmer. Sie hörte Wasser laufen. Ihr Atem wurde langsamer, ohne dass sie sich so sehr bemühen musste. Nach einer ganzen Weile erklang von nebenan wieder ein leises Schnarchen.
    Sie schluckte. Morgen würde sie sich um alles kümmern. Er würde nie etwas erfahren. Aber was machte er mit einer ganzen Schachtel voller Fotos von Sofie?

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