Das Echo der Vergangenheit
Aufschrei und kniff die Augen zusammen, während der Schmerz allmählich nachließ. Vorsichtig stellte sie die Füße wieder auf den Boden. Sie hatte nicht aufgeschrien, aber vielleicht hatte er gehört, wie sie sich gestoßen hatte. Sie ging zum Kühlschrank. Wenn sie ihn hörte, würde sie schnell die Kühlschranktür aufmachen.
Stille und ein Schnarchen, das sie kaum hören konnte. Sie schob sich langsam wieder zu der Küchenzeile hinüber und zog sich vorsichtig hoch. Ihr Knie tat weh, vor allem, als sie darauf kniete. Sie öffnete die Schranktür und verlor beinahe das Gleichgewicht. Ihre Hand erstarrte bei dem Geräusch, das vom Ende des Ganges herüberdrang.
Sie kauerte sich zusammen, rutschte aber nicht von der Küchenzeile. Das Schnarchen war jetzt lauter, beinahe so laut wie das Hämmern ihres Herzens. Sie richtete sich auf, packte die Schachtel und stellte sie auf die Arbeitsplatte. Sie rutschte herunter und landete auf Zehenspitzen. Die Schachtel fest an sich gedrückt, schlich sie in ihr Zimmer zurück.
Ein zweiter Krankheitstag kam nicht infrage und sie hatte nicht die Nerven, sich die Sachen sofort anzusehen. Vorsichtig verstaute sie den Karton ganz unten in ihrem Rucksack. Vielleicht in der Pause …
Sie kletterte ins Bett und schlief tatsächlich wieder ein, wobei sie von verschiedenen Frauen träumte, denen sie der Reihe nach die Frage stellte: »Bist du meine Mutter?« Am nächsten Tag war Daddy erleichtert, als sie sich für die Schule fertig machte und keine Anzeichen von Magenschmerzen zu haben schien. Sie hatte wichtige Pläne.
Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bevor sie endlich die Gelegenheit dazu bekam. Eigentlich durften sie nicht bis zu dem Teil des Schulhofs in der Nähe der Straße gehen, aber sie hatte eine Senke hinter ein paar Bäumen gleich hinter dem Basketballplatz entdeckt, wo sie sich hinkauern und die Bilder anschauen konnte. Sie warf einen Blick über ihre Schulter, ging dann den kleinen Hang hinunter und streifte den Rucksack ab.
Niemand war darauf erpicht, mit ihr zu spielen. Sie war ja erst in die Klasse gekommen, als alle schon ihre Freundschaften geschlossen hatten, und sie gab sich auch keine Mühe, Anschluss zu finden. Daher kam niemand hinter ihr hergerannt, um zu fragen, was sich in dem Karton befand. Niemand bemerkte sie.
Trotzdem war sie auf der Hut. Als könnte sie sich jemals entspannen. Als könnte sie jemals aufhören, sich Sorgen zu machen. Wieder tat ihr der Bauch weh. Sie ignorierte das mulmige Gefühl, stellte die Schachtel auf den Boden und öffnete den Deckel. Das oberste Bild zeigte sie selbst, vor der Schule, wie sie mit der Direktorin sprach. Das musste an dem ersten Tag gewesen sein, als Daddy sie zur Schule gebracht hatte.
Sie legte das Foto in den Deckel und nahm das nächste in die Hand. Wieder sie. Waren in der Schachtel nur Fotos von ihr? Es war nichts daran auszusetzen, dass Daddy Fotos von ihr machte, nur dass es keine Bilder waren, wie man sie in ein Album klebte. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er sie fotografiert hatte, und irgendwie schien sie auch gar nicht der Grund für das Foto zu sein. Es waren die Leute, mit denen sie sprach und die sie anlächelte, für die er sich mehr interessierte.
Menschen, die sie mochte, Menschen, die ihr wichtig gewesen waren. Und diese Bilder waren mit Daten und Namen versehen. Aber nicht mit Kommentaren wie Carly, sechs Jahre, mit ihrem Freund Sandi . Es standen Wörter wie Gassenjunge, Abschaum, Schwarzgesicht darauf. Auf den Bildern mit Lehrern, die auf verschiedenen Schulhöfen gemacht worden waren, standen Bezeichnungen wie Besserwisser, hinterhältige Ziege und noch schlimmere Bezeichnungen, die Carly die Röte ins Gesicht trieben. Ausdrücke, von denen Daddy nicht glaubte, dass sie sie kannte.
Sie betrachtete ein Bild, auf dem die Schulsozialarbeiterin, Ms. Baker, das Gebäude verließ. Ms. Baker hatte beratende Gespräche vorgeschlagen gegen den Stress, den sie in der dritten Klasse bei Carly festgestellt hatte. Auf dem Foto war nur Ms. Baker zu sehen und sie sah schockiert und fassungslos aus. Auf der Rückseite las Carly eine der gemeineren Bezeichnungen und das nächste Bild zeigte ein Auto mit aufgeschlitzten Reifen.
Sie schluckte. Immer mehr Bilder waren da. Dazwischen Aufnahmen von vereisten Treppen, Krankenwagen … toten Haustieren. Sie sprang auf und würgte und ihr Magen war ein einziger Knoten, als er alles von sich gab, was sie gegessen hatte. Sie warf die Bilder in die
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