Das Echo der Vergangenheit
passiert?«
»Mein Onkel hat gelogen.« Eine Wolke aus Kummer und Wut verdüsterte ihre Miene.
Lance beugte sich näher. »Ist er Diegos Vater?«
Sie schüttelte den Kopf und biss die Zähne zusammen. »Die anderen. Wer am meisten bezahlte.«
Lance kochte vor Wut. Ihr Onkel hatte ihr eine amerikanische Ausbildung versprochen und sie stattdessen prostituiert?
»Er sagte, die Schule würde mich nicht nehmen, deshalb sollte ich putzen und kochen. Ich wollte nach Hause, aber er sagte Nein.« Als er den Ausdruck in ihrem Gesicht sah, hätte er heulen können. »Dann fingen sie an, mich mitten in der Nacht aufzuwecken.« Ihre Stimme brach. »Ich habe mich gewehrt. Aber irgendwann war es dann egal. Ich konnte nicht mehr nach Hause.«
Darum würde er sich kümmern. Höchstwahrscheinlich hatte man ihr viel erzählt, was nicht stimmte, damit sie den Mund hielt und sich keine Hoffnungen machte.
»Ich war so wütend.« Sie betrachtete das Baby. »Ich wollte, dass er stirbt. Damals, als ich ihn sah, war ich froh, dass er nicht atmete. Ich habe angefangen zu schreien, aber als du kamst und ihn hochgenommen hast …« Sie zog Diego an sich. » El amor me demandó .«
Die Liebe hatte sie überwältigt. Lance spürte einen Kloß in seiner Kehle. Er wusste immer noch nicht, wie das alles hatte geschehen können. Aber Gott hatte ihn als sein Werkzeug gebraucht.
Sie sah ihn mit Tränen in den Augen an. »Du bist ein ganz besonderer Mensch, ein Heiliger.«
Das würde Pop sicher gefallen. »Nein, Maria. Dass dein Baby zu atmen begonnen hat, das hat Gott getan. ¿Comprendes?«
»Sí.« Aber ihr Gesicht leuchtete immer noch.
Er hörte ein Geräusch und drehte sich um. Sofie und Matt standen in der Tür. Er war sich nicht sicher, wie lange sie dort schon standen und was sie gehört hatten. Er hatte sich ganz auf Maria konzentriert.
Matt trat neben sie. »Geht es Ihnen besser, Maria?«
Sie nickte. Ihre Arme schlossen sich um Diego.
Matt sagte: »Ich möchte das Beste für Diego tun, Maria. Und Cassinia das Beste für Sie. Damit wir das tun können, müssen wir Ihre Familie finden.«
Panik kehrte in ihren Blick zurück. Ihr Atem ging keuchend und flach. »Meine Mutter wollte nicht, dass ich hierherkomme. Sie sagte, meine Schule sei gut. Mein Zuhause sei gut. Aber …« Ein Schluchzen entwich ihrer Kehle. »Ich wollte nicht auf sie hören.«
Matt sagte. »Sie hatten ja auch keinen Grund, Ihrem Onkel zu misstrauen.«
Sie drückte Diego noch fester an sich. »Sie dürfen mir mein Baby nicht wegnehmen.«
Lance legte eine Hand auf ihren Arm. »Niemand nimmt dir dein Baby weg.«
Matt widersprach ihm zwar nicht, aber er stimmte auch nicht zu. »Wir müssen so entscheiden, wie es für Diego am besten ist. Er ist ein Bürger dieses Landes und ich trage die Verantwortung für ihn.«
»Aber er muss doch nicht hierbleiben. Er kann nach Hause … mit mir, oder nicht?«
»Ist es das, was Sie wollen?«
»Ja.« Aber sie ließ den Kopf hängen.
Lance sah sie von der Seite an. »Maria?«
Sie murmelte: »Ich will schon, aber … mi mamá will mich vielleicht nicht mehr.«
Diego gähnte und reckte sich und fing dann an, mit den Lippen saugende Bewegungen zu machen. Als sie ihm nicht die Brust gab, fing er an zu quengeln.
Maria blickte erschrocken auf. »Ich habe keine Milch.« Es war nicht nur das Feststellen einer Tatsache, sondern zugleich Ausdruck ihrer Schande und ihres Versagens und ihrer Reue, alles nicht ihre Schuld. Sie war unter übelsten Bedingungen unglaublich mutig und selbstlos gewesen.
Sofie holte eine Flasche mit Milchpulver aus der Wickeltasche. »Es dauert nur eine Minute, bis ich sie fertig habe.« Sie ging hinaus, wahrscheinlich ins Schwesternzimmer, um die Flasche mit Wasser zu füllen und aufzuwärmen.
Das Quengeln des Babys wurde zu einem durchdringenden Schreien. Da Maria sich noch schonen musste, nahm Lance den Kleinen auf den Arm und ging in dem kleinen Zimmer mit ihm auf und ab, bis Sofie zurückkam. Dann gab er den Säugling zurück und half Maria mit dem Fläschchen. Diego umschloss den Sauger mit den Lippen und trank so gierig, als hätte er seit einer Woche nichts mehr zu essen bekommen.
Sofie legte eine Windel über Marias Schulter. »Wenn du versuchst eine Pumpe an deine Brust anzulegen, könnte deine Milch zurückkommen.«
»Ja?« Maria zog hoffnungsvoll die Augenbrauen hoch.
Matt schüttelte den Kopf. »Das ist keine gute Idee. Es ist noch nichts entschieden.«
»Habe ich die Wahl?«, sagte Maria.
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