Das Echo der Vergangenheit
vom Flughafen abgeholt und sie fahren zusammen zu ihm nach Hause.«
»Er hat sie doch nicht aus dem Hut gezaubert. Die Frau wird ein Touristenvisum haben.«
»Er will, dass wir uns dort mit ihnen treffen. Vielleicht kannst du mir erklären, wie er die Regie für diese beiden Fälle übernommen hat?«
»Sie haben Maria geholfen, bevor wir überhaupt damit zu tun haben. Und sie vertraut ihm.«
»Sie verehrt ihn.«
»Nach allem, was sie durchgemacht hat, ist das ja nicht unbedingt so schlecht.«
Er war bei seiner Meinung über Lance Michelli ganz sachlich gewesen, aber die Sache wurde verkompliziert durch seine Gefühle für Sofie. Zum Glück wusste Cassinia nichts davon. In den Tagen seit ihrer letzten Verabredung hatte er versucht, nicht an Sofie zu denken, und nur zwei Mal Lance angerufen, um zu hören, wie es Diego ging. Lance zufolge gediehen Mutter und Sohn prächtig.
Cassinia sah ihn düster an. »Ich sage immer noch, dass sie und das Baby nicht hätten zusammengebracht werden dürfen, bevor der komplette Sachverhalt geklärt ist.«
»Du hast doch das Gutachten.« Und weil es seine Empfehlungen für Diego betraf, hatte er es auch bekommen. Maria verkraftete die Situation erstaunlich gut, sie litt unter der Hysterektomie und klammerte sich an den Sohn, den sie geboren hatte. Sie drückte ihre Wut denen gegenüber aus, die sie missbraucht hatten, und sie hatte den dringenden Wunsch, nach Hause zu fahren. Wenn sie außerdem Lance Michelli wie einen Heiligen verehrte, wer konnte ihr das verübeln? »Sie haben dort Unterkunft gefunden und Menschen, die sich um sie kümmern: Das hätten wir ihnen nur schwerlich bieten können.«
Cassinia runzelte die Stirn. »Aber dieser religiöse Fanatismus. Himmel, Hölle und Wunder. Wer glaubt denn heute noch daran?«
Abgesehen von ihrem Tonfall hätte er das auch so sagen können. Die Ambivalenz, die er jetzt empfand, überraschte ihn selbst. Er wollte nur den Fall abschließen. Schließlich hatte er dem Gericht empfohlen, das Sorgerecht für Diego wieder der Mutter zu übertragen. Maria würde entweder zu ihrer eigenen Mutter zurückkehren oder mit Unterstützung in den USA bleiben, bis sie auf eigenen Füßen stand – falls sie mit sechzehn und einem Säugling ohne Mann überhaupt auf eigenen Füßen stehen konnte. Aber da waren ja noch die »Fanatiker« in der Villa.
Er erhob sich. »Wollen wir?«
»Du fährst; ich bin heute mit dem Fahrrad gekommen.« Die Luft draußen war schwer vom Nebel, aber weder Regen noch Schneeregen oder Schmuddelwetter konnten Cassinia davon abhalten, Benzin zu sparen und Rad zu fahren. Sie hatte allerdings nichts gegen eine Mitfahrgelegenheit, wenn er sowieso mit dem Wagen fuhr.
Auf der Fahrt sprachen sie kein Wort. Cassinias Haltung in diesem Fall ließ vermuten, dass sie sich irgendwie bedroht fühlte. Dinge, die nicht in ihre Weltsicht passten, die sie sich aufgebaut hatte, ärgerten und frustrierten sie, aber so extrem war es noch nie gewesen. Sie versuchte diese Tatsache zu verbergen, aber je eher sie die ganze Sache hinter sich brachte, desto besser.
Star öffnete ihnen die Tür. Sie trug einen bestickten Rock und eine Trachtenbluse. An ihren Hand- und Fußgelenken hingen mehrere Dutzend silberne Armbänder, die klimperten, wenn sie sich bewegte. »Lance und Señora Epinoza sind noch nicht da. Kann ich Ihnen ein Milchgetränk anbieten?«
Nicht, wenn schon das Wort ihn daran erinnerte, wie er am Tisch Sofie gegenübergesessen hatte. »Nein, danke.«
Cassinia warf Star einen Blick zu, der jeden normal Sterblichen eingeschüchtert hätte. »Ich möchte aber mit Maria sprechen, bevor ihre Mutter eintrifft.«
Sie wollte sich offenbar vergewissern, dass dem Mädchen bewusst war, welche unterschiedlichen Wendungen die Sache nehmen konnte. Aber warum sollte Señora Espinoza in die Staaten reisen, nur um Maria zu sagen, dass sie zu Hause nicht willkommen war?
»Ich sage ihr Bescheid.« Star tänzelte die Treppe hinauf.
Er wartete zusammen mit seiner Kollegin im Salon und versuchte sich nicht zu fragen, wo Sofie sein konnte. Er wollte diesen Fall nicht abschließen, ohne sie noch einmal zu sprechen. Vielleicht war das für sie beide das Beste. Bis zu Marias Rückkehr war sie für Diegos Pflege wichtig gewesen. Dann war sie beiseitegetreten, und zwar mit einer Bereitschaft, die ihn angesichts ihrer Vergangenheit, die sie ihm offenbart hatte, überraschte. Nachdenklich schüttelte er den Kopf.
Wenige Augenblicke später kam Maria
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