Das Echo des Bösen: Soul Seeker 2 - Roman (German Edition)
fest mit den Fingern. In der Hoffnung, dass das Pendel recht hatte und ich es wirklich guten Glaubens weitertragen sollte, sende ich eine stille Bitte um Hilfe aus. Ich appelliere an die Elemente, an die Geister meiner Vorfahren – an alle und alles, die bereit sein könnten, mich zu führen. Dann stecke ich den Beutel wieder weg und gehe los, ohne eine klare Richtung im Sinn, aber entschlossen, so viel Strecke wie möglich zu machen.
Obwohl ich eigentlich keine untoten Richters sehe, ist ihre Gegenwart durch das Fehlen von zwitschernden Vögeln und umhertollenden Tieren spürbar. Selbst der Wind, mein Leitelement, der mir sonst so bereitwillig dient, macht sich nur durch sein Fehlen bemerkbar – was die böse dräuende Stille um mich herum verursacht. Dazu wird die Umgebung mit jedem Schritt trister.
Die normalerweise so üppig grünen Wiesen sind nun zu einem Flickenteppich aus Brauntönen verkommen. Die in Gruppen angeordneten hohen Bäume, sonst stets mit dichtem Laub bewachsen, ragen nun nur noch als reine Skelette ihrer früheren Pracht empor. Ihre Stämme sind verbrannt und ausgehöhlt, die übrig gebliebenen Blätter vertrocknet und rissig. Es ist das genaue Gegenteil von allem, was ich erwartet habe.
Ich erwäge, einen Abstecher zur Knochenhüterin zu machen, verwerfe die Idee aber ebenso schnell wieder. Sie mag ja einiges über meine Bestimmung und die von Dace wissen, und vielleicht weiß sie auch ganz genau, was das Echo ist, aber sie hat ebenso deutlich erklärt, dass sie uns lieber verspottet, statt uns zu helfen. Außerdem bezweifele ich, dass es sie auch nur im Geringsten kratzt, wie sich die Gegend hier verändert hat. Ihr Metier sind Knochen, und der Tod ist das Vehikel, das sie zu ihr bringt.
Ich gehe weiter, ziehe eine gefühlte Ewigkeit dahin, bis meine Füße längst von Blasen bedeckt sind und schmerzen und meine Beine vor Erschöpfung zittern.
Ich gehe weiter, bis ich das Gefühl habe, dass ich nicht mehr kann – und dann noch ein bisschen weiter.
Ich halte erst inne, als ich auf einen großen, glatten Felsen stoße, vor dem ich mich niederlasse und das Gesicht in den Händen vergrabe, während ich mich frage, was ich als Nächstes tun soll. Mich frage, wie ich je mein Ziel erreichen soll, wenn ich anscheinend ständig nur im Kreis herumgehe, ohne die geringsten Fortschritte zu machen.
So versunken bin ich in meiner Verzweiflung, dass ich beinahe das Rauschen von über mir flatternden Flügeln überhöre.
Rabe.
Mein Rabe.
Seine violetten Augen glitzern wild, während er über mir einen perfekten Kreis beschreibt.
Ich runzele die Stirn, ungewiss, ob ich ihm trauen kann. Es ist gut möglich, dass er für den Feind arbeitet … aber andererseits habe ich schließlich um Hilfe gebeten, und vielleicht reagiert er einfach auf meinen Ruf ?
Er landet direkt neben mir, und seine violetten Augen leuchten, während er eine Blüte auf meinen Schoß fallen lässt und mit der gebogenen Spitze seines Schnabels drängend gegen sie stupst.
Ich packe sie am Stängel, mustere die samtig schimmernden Blütenblätter und versuche mich zu erinnern, wo ich diese spezielle Blüte schon einmal gesehen habe, als Rabe den Kopf senkt und mich unsanft ins Bein pickt.
Missmutig verziehe ich das Gesicht und schiebe ihn mit dem Knie beiseite. Sehe zu, wie er die Schwingen weit ausbreitet und sich in die Luft erhebt – wo er hartnäckig über meinem Kopf schwebt, bis ich tief Luft hole und nachgebe. Ich rede mir selbst ein, dass es, sogar wenn er mich in irgendeine Falle locken will, immer noch besser ist, als ziellos umherzuwandern. Wenn ich in der Höhle der Richters lande, bekomme ich wenigstens etwas zu tun – etwas, womit ich arbeiten kann. Alles ist besser als das.
Der Gedanke verschwindet in dem Moment, als ich merke, dass er mich zu der verzauberten heißen Quelle geführt hat, an deren Rand nun Dace steht.
Mit einem langen, spitzen Ast, den er von dem Baldachin aus blühenden Ranken darüber abgerissen hat, stochert er im Wasser herum.
Ranken, die dieselbe Art von Blüten tragen, wie mir Rabe eine in den Schoß geworfen hat.
»Warum bist du nicht in der Arbeit ?«, frage ich und bewundere einen Moment lang die schlanke Linie seines Rückens.
Er dreht sich um und sieht mich forschend an. »Warum schwänzt du die Schule ?«
Mein Blick schießt zu Rabe hinüber, der sich inzwischen gemütlich auf Pferds Nacken eingerichtet hat. Dann gehe ich auf Dace zu. »Irgendwie kam mir das hier wohl
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