Das Echo des Bösen: Soul Seeker 2 - Roman (German Edition)
vor ihr in Positur. Während sie mir eine dicke Schicht Lipgloss auf die Lippen tupft, murmele ich: »Ich meine ja nur …«
»Ja, ich auch.« Ihre Stimme klingt müde und aufgewühlt, aber auf eine gute Art. Auf eine Art, die mir sagt, dass sie eine Zukunft in Erwägung zieht, die sie sich selbst viel zu lange vorenthalten hat. »Ich meine ja auch nur.«
Siebenundzwanzig
Dace
B i s ich das Rabbit Hole erreiche, habe ich meine Jackentasche bestimmt mindestens zwanzigmal kontrolliert. Doch das hält mich nicht davon ab, noch einmal nachzusehen. Und es hält mich auch nicht von dem kleinen Seufzer der Erleichterung ab, den ich ausstoße, als ich das Päckchen finde, in dem dasWichtelgeschenk für Daire steckt.
Obwohl das herzförmige Stück Türkis das Zwanzig-Dollar-Limit bei Weitem überschreitet, wirkt es auf den ersten Blick wahrscheinlich eher unspektakulär. Die Schönheit des Steins, seine offenkundige Härte, sein Glanz und die strahlend himmelblaue Farbe, alles Qualitätsmerkmale erster Güte, sind vollständig vorhanden, doch der Stein birgt auch noch eine tiefere Bedeutung.
Er soll ein Amulett sein, das sie zu all ihren anderen Talismanen in ihr Lederbeutelchen stecken kann und das sie beschützen soll, wenn ich nicht bei ihr sein kann. Türkis ist ein Heilstein. Ein Schutzstein. Er soll Böses abwenden. Und davon gibt es hier in Enchantment mehr als genug.
Ich hoffe nur, ich kann es auf eine Weise erklären, die einleuchtend ist, ohne blöd zu klingen.
Ich parke meinen Pick-up am gewohnten Platz und halte schnurstracks auf den Eingang zu. Kaum habe ich es halb durch die Gasse geschafft, als Leandro scheinbar aus dem Nichts zu mir tritt.
»Dace«, sagt er in einem Tonfall, der so schneidend ist wie sein Blick.
Ich funkele das Monster vor mir an. Den schrecklichen, bösen, selbstsüchtigen Unhold, der mich gezeugt, mich versehentlich erschaffen hat, als er meine Mutter vergewaltigte, indem er ihre Wahrnehmung verändert und sie ihrer Unschuld beraubt hat – und damit ihr ganzes Leben aus der Bahn geworfen hat.
Das Ungeheuer, das ich niemals als Vater bezeichnen werde.
»Lange nicht gesehen. Arbeitest du noch hier ?«
Auf einmal spricht er in lockerem, freundlichem Ton, doch ich zucke nur die Achseln und betaste zum x-ten Mal meine Jackentasche.
Er hebt das Kinn und sieht in dieser bohrenden Art, die typisch für ihn ist, auf mich herab. Doch statt zurückzuweichen, wie ich es sonst meist tue, halte ich diesmal seinem Blick stand. Ich starre in diese unergründlichen Augen – nutze meine neuen Kräfte. Ich weiß, dass ich mich der Schwärze meines Bruders werde stellen müssen, ehe das hier vorüber ist, und da packe ich den Stier am besten gleich bei den Hörnern.
»Bist du sicher, dass du dorthin willst ?« Er grinst so breit, dass sich seine Lippen weit auseinanderziehen und eine Reihe weißer Zähne entblößen, die im Licht der Straßenlampen allerdings gelblich wirken. »Womöglich überlebst du es nicht. Dein Großvater Jolon hat es jedenfalls nicht geschafft.«
Ich starre ihn entgeistert an. Es verblüfft mich, dass er das so freimütig zugibt.
»Komm schon, Sohn, inzwischen bist du doch sicher über die Wahrheit deiner Existenz im Bilde ?«
»Nenn mich nicht so.«
Ich will mich an ihm vorbeidrängen, doch er fängt mich ab und zischt mir mitten ins Gesicht.
»Wie soll ich dich nicht nennen – Sohn ?« Er zieht eine Braue hoch. »Aber du bist mein Sohn. Ob es dir gefällt oder nicht, du hast deine Existenz mir zu verdanken. Ich habe dir das Leben geschenkt. Ich habe dich in diese Welt gebracht, und glaub mir, ich hätte deinem Leben ebenso schnell wieder ein Ende setzen können. Schon vor Jahren hätte ich dich auslöschen können, aber ich habe es nicht getan. Hast du dich schon mal gefragt, warum ?«
Ich sehe ihn unverwandt an und sage kein Wort.
»Ich mag keine Verschwendung. Halte nichts davon. Und ich bin der festen Überzeugung, dass irgendwo in deiner reinen und erbärmlichen Seele ein bitterer schwarzer Dorn wächst, der mich repräsentiert, und ich bin mir ziemlich sicher, dass du es auch spürst. Du hasst mich. Ich sehe die Finsternis in dir wachsen, und das gefällt mir enorm. Dein Hass gibt mir Hoffnung. Wenn du ihn hegst und pflegst und ihn gedeihen lässt, dann wirst du dich im Endeffekt vielleicht doch nicht als ganz hoffnungsloser Fall erweisen. Vielleicht wirst du dann eines Tages imstande sein, vom bescheidenen Leben eines Whitefeather zur erhabenen Existenz
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