Das Echo dunkler Tage
nicht in der Lage gewesen wäre. Er selbst hatte sich sowieso nie von ihr trennen wollen, nicht einmal in den schlimmsten Momenten seiner alkoholischen Umnachtung.
Und jetzt begann sich ihr Verhältnis wieder zu wandeln. Dass er jetzt trocken war, sich gut anzog, ihr kleine Geschenke machte, zeigte Wirkung. Seit Monaten besuchte er Flora jeden Tag in der Backstube, und jeden Tag bat er sie, etwas mit ihm zu unternehmen: essen zu gehen, spazieren, die Messe zu besuchen, ihn auf seinen Reisen zu begleiten. Sie hatte stets abgelehnt, bis neulich, als er ihr zum Hochzeitstag einen Strauß Rosen geschenkt hatte. Endlich hatte sie sich erweichen lassen und sich mit ihm treffen wollen.
Er hätte alles gegeben, alles getan, alle Bedingungen akzeptiert, um wieder mit ihr zusammen zu sein. Mit dem Trinken aufzuhören war die wichtigste Entscheidung seines Lebens gewesen. Anfangs hatte er gedacht, dass jeder Tag ohne Alkohol die Hölle sein würde, aber in den vergangenen Monaten hatte er entdeckt, dass sein Entschluss große Kräfte in ihm freigesetzt hatte, ihn wieder jung gemacht hatte wie damals, als er noch der gewesen war, der er hatte sein wollen. Er ging zum Kleiderschrank und nahm das Hemd heraus, das ihr so gut gefiel. Weil es eng zwischen den anderen Hemden gehangen hatte, war es etwas zerknittert, also beschloss er, es schnell noch einmal zu bügeln. Pfeifend ging er die Treppe hinunter.
Die Kirchuhr zeigte kurz vor elf, aber dem Licht nach hätte man meinen können, der Abend bräche schon herein. Es war einer dieser Tage, die über das Morgengrauen nicht hinauskamen. Amaia musste an ihre Kindheit denken, als sie sich oft nach dem warmen Streicheln der Sonne gesehnt hatte. Einmal hatte ihr eine Mitschülerin einen Reisekatalog geschenkt, und sie hatte ihn monatelang durchgeblättert und sich an den farbenprächtigen Fotos von sonnigen Küsten mit unwirklich blauem Himmel erfreut, während in Elizondo Nebelschwaden vom Fluss aufgestiegen und durch die Straßen geweht waren. Amaia hatte diese Stadt verflucht, in der es manchmal tagelang nicht richtig hell wurde, als hätte ein Geist sie über Nacht nach Island versetzt, ohne ihnen die Freude zu gönnen, dass im Sommer die Sonne niemals unterging.
Im Tal von Baztán war die Nacht finster und unheimlich. Die Wände des eigenen Heims bildeten die Grenze, hinter der das Ungewisse lauerte. Es war nicht verwunderlich, dass noch vor hundert Jahren fast alle Einwohner an Hexen und Zaubersprüche glaubten, um das Böse auf Abstand zu halten. Der Fluss hatte ihnen nach Gutdünken gegeben und genommen, als wollte er ihnen klarmachen, dass dies kein Ort für Menschen war, dass diese Gegend den Berggeistern gehörte, den Quelldämonen, den Waldfeen und dem Basajaun. Doch nichts hatte den Willen dieser Männer und Frauen brechen können, die angesichts dieses allgegenwärtigen Graus vielleicht wie sie von einem helleren, gütigeren Himmel geträumt hatten. Die Adligen dieses Tals hatten den Ozean überquert und waren als reiche Männer wiedergekommen, so besungen im Maitetxu mía; und sie hatten ihr Gold in Paläste und Herrenhäuser investiert, um ihre Nachbarn zu beeindrucken, in Klöster, um für ihr glückliches Los zu danken, und in Brücken, um die einst unpassierbaren Flüsse zu zähmen.
Engrasi verzichtete wegen ihrer Knie lieber auf den geplanten Sonntagsausflug, und auch Amaia protestierte anfangs mit dem Argument, dass es noch vor Mittag regnen würde, aber Ros und James ließen sich nicht davon abbringen. Also fuhren die drei los, anfangs den Fluss entlang, vorbei an grünen Wiesen und Buchenwäldern, bis zum Fuß der Berge. Von dort aus hatten sie einen atemberaubenden Blick auf Elizondo. Sie verstanden, warum manche Leute von weit her kamen, um dieses Städtchen zu besuchen. Wie es da versteckt zwischen Bergen und Wiesen lag, war es das reinste Idyll. Und weil das Klima so feucht war und der Winter sich lange hinzog, waren die Wiesen selbst im Februar grün.
Der Wald von Baztán war geheimnisvoll und magisch und regte alle Sinne an. Eichen, Buchen und Kastanien und unzählige weitere Arten boten ein Spektakel von Farben und Formen. Nur das Rauschen des Flusses und vereinzelte Tierstimmen brachen die Stille dieser Landschaft. Herbstblätter bedeckten wie ein weiches Laken den Boden oder waren zu Häuflein zusammengeweht, wie um Feen ein Bett zu bereiten, oder zu Zauberpfaden für umherstreifende Lamias. Die Waldfrüchte dufteten, und das Gras leuchtete grün wie
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