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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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erzählte, dadurch weniger schlimm.
    »Ich habe versucht, ihr die Mutter zu ersetzen. Ich habe sie jeden Abend ins Bett gebracht, mich um sie gekümmert, sie geliebt wie niemanden sonst auf der Welt. Gott ist mein Zeuge, dass ich sie geliebt habe wie eine eigene Tochter. Gebetet habe ich, dass sie es vergisst, dass dieses Grauen ihr nicht die Kindheit verdirbt. Und wenn das Thema doch mal aufkam, bin ich ausgewichen, habe nur von ›dem, was damals passiert ist‹ gesprochen. Und ich war beruhigt, wenn sie es nicht wieder erwähnte. Ich habe so gehofft, dass sie es irgendwann ganz vergisst. Aber ich habe mich geirrt.« Ihre Stimme brach, und Amaia nahm sie in den Arm und drückte sie an sich, vergrub ihr Gesicht in ihrem grauen Haar, das wie immer nach Geißblatt roch.
    »James, es wird nie wieder vorkommen«, versprach sie.
    »Das kannst du doch gar nicht wissen.«
    »Doch.«
    »Ich aber nicht. Ich werde nicht zulassen, dass du mit einer Waffe durch die Gegend läufst, wenn dich weiterhin solche Panikattacken überfallen können.«
    Amaia ließ Engrasi los und ging mit großen Schritten auf James zu.
    »James, ich bin Polizistin, ohne Waffe kann ich meine Arbeit nicht erledigen.«
    »Dann gib den Fall ab!«
    »Ich kann den Fall nicht abgeben. Das wäre das Ende meiner Karriere.«
    »Deine Gesundheit ist wichtiger.«
    »Ich werde den Fall nicht abgeben, James, nicht mal, wenn ich könnte, würde ich das tun.«
    Sie klang jetzt wieder so stark und entschlossen, wie alle sie kannten, war nicht mehr Amaia, sondern Inspectora Salazar. James stand auf.
    »Okay, aber ohne Waffe«, sagte er bestimmt.
    Er rechnete mit ihrem Protest, aber sie sah erst ihn und dann ihre Schwester an, die immer noch weinte, und sagte:
    »Einverstanden. Ohne Waffe.«

39
    V íctor rasierte sich auf die traditionelle Art mit Seife, Pinsel und Klinge. Am liebsten hätte er auch noch ein Rasiermesser benutzt wie sein Vater und sein Großvater, aber er hatte es einmal ausprobiert und war nicht damit zurechtgekommen. Trotzdem war seine Haut nach der Rasur glatt und duftete, was Flora immer an ihm gemocht hatte. Er blickte in den Spiegel und schmunzelte, weil er mit dem vielen Schaum im Gesicht lächerlich aussah. Flora. Wenn es ihr gefiel, dann musste es eben sein. Sein Leben hatte eine Wende erfahren, als er sich eingestanden hatte, dass er nicht auf sie verzichten wollte. Was er früher an ihr gehasst hatte – ihren Kontrollwahn, ihren herrischen Charakter –, wusste er heute zu schätzen. Flora passte zu ihm wie die Faust aufs Auge.
    Die besten Jahre seines Lebens hatte er sich mit Alkohol betäubt. Was ihm heute wie Teufelszeug vorkam, schien ihm damals der einzige Ausweg aus Floras Tyrannei, ein Überdruckventil für seine Instinkte, die sich hatten wehren wollen. Er hatte nicht erkannt, dass Flora die einzige Frau war, die ihn lieben konnte, die einzige Frau, die er lieben konnte und glücklich machen wollte. Später war ihm klar geworden, dass er zu trinken begonnen hatte, um sich an ihr zu rächen, dass der Alkohol ein Mittel war, um sich ihr zu entziehen und es ihr gleichzeitig recht zu machen, denn er half ihm, sich ihrer eisernen Disziplin zu beugen und der Ehemann zu sein, den sie sich erhofft hatte.
    Lange hatte er die richtige Balance gefunden, um es unter Floras strengem Regiment auszuhalten. Doch dann war sein Leben aus den Fugen geraten. Es war eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet der Alkohol, der für den Fortbestand ihrer Ehe so wichtig gewesen war, schließlich der Grund wurde, warum sie ihn verließ. Im ersten Jahr nach der Trennung hatte er den Kampf gegen den Alkohol verloren und war ganz unten angekommen, woran er allerdings kaum noch Erinnerungen hatte, allenfalls verschwommene, unscharfe Bilder, wie bei alten Schwarz-Weiß-Filmen, deren Streifen von Zellulosenitrat zerfressen sind. Er wusste nur noch, dass er einmal nach tagelangen Trinkexzessen auf dem Boden aufgewacht war, fast erstickt an seiner eigenen Kotze, und eine Kälte verspürt hatte, eine innere Leere wie noch nie zuvor in seinem Leben. Erst da, als ihm klar wurde, dass er das Einzige verlieren würde, was ihm im Leben wirklich wichtig war, begann er sich zu berappeln.
    Obwohl sie sich getrennt hatten und wie zwei Fremde miteinander umgegangen waren, hatte Flora sich nicht scheiden lassen wollen. Auch diese Entscheidung hatte sie getroffen, ohne ihn nach seiner Meinung zu fragen, wobei er zugeben musste, dass er bei seinem Lebenswandel dazu auch gar

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