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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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mich bitte Inspectora.«
    Der Pfad wurde immer schmaler, je tiefer sie in den Wald eindrangen, öffnete sich aber auch immer wieder zu kleinen, mit feinem grünem Gras bewachsenen Lichtungen. An anderen Stellen bildete der Wald ein heimeliges Labyrinth mit einem Teppich aus Nadeln und Blättern. Das Laub war dort so dicht, dass das Wasser nicht bis nach unten durchsickerte. Der Wind hatte die Blätter gegen die Stämme geweht und ein ideales Bett für Taubnesseln geformt. Amaia musste lächeln, weil ihr die alten Legenden einfielen, die ihr Tante Engrasi früher erzählt hatte. Es war ganz natürlich, in diesem Wald an die Zauberwesen zu glauben, die einst das Leben der Menschen in dieser Region bestimmt hatten. Wälder hatten immer etwas Mächtiges und Furchteinflößendes, weil sie so tief und geheimnisvoll waren, so auch der Wald von Baztán. Er war ein Zauberreich von urzeitlicher Schönheit, das ihre kindliche Seite weckte. Wenn sie dort war, glaubte sie an die Lamias, jene Feen mit Entenfüßen, die tagsüber schliefen und nachts herauskamen, um ihre langen blonden Haare zu kämmen, mit einem goldenen Kamm, der seinem Besitzer jeden Wunsch erfüllte. Wünsche, die diese Feen Männern gewährten, die ihre Schönheit bewunderten und sich nicht von ihren Entenfüßen abschrecken ließen. Die Gegenwart dieser Wesen schien Amaia so spürbar, dass sie ohne weiteres verstand, wie man an Druiden glauben konnte, an die Macht der Bäume, an die heilige Verbundenheit zwischen magischen Wesen und den Menschen.
    »Da vorne sind die Geisterjäger«, sagte Gorria ohne jede Ironie.
    Der Bärenexperte aus Huesca und seine Kollegin trugen grellorangene Overalls und silberfarbene Koffer, die aussahen wie die von Kriminaltechnikern. In Gedanken versunken standen sie da und betrachteten den Stamm einer Buche.
    »Sehr erfreut, Inspectora«, sagte der Mann und gab Amaia die Hand. »Raúl González, und das hier ist meine Kollegin Nadia Takchenko. Sie fragen sich vielleicht, warum wir diese merkwürdige Kluft anhaben. Wegen der Wilderer. Nichts lockt diese Leute mehr an als das Gerücht, dass sich in der Gegend ein Bär rumtreibt. Ohne Scherz. Das stachelt den iberischen Macho natürlich an, da muss er raus auf die Jagd. Und wenn er dann draußen im Wald ist, kriegt er Schiss, sodass am Ende der Bär ihn jagt und er auf alles schießt, was sich bewegt. Wäre nicht das erste Mal, dass man uns mit einem Bären verwechselt. Deswegen also dieser orangene Overall: Den sieht man auf zwei Kilometern Entfernung. In den russischen Wäldern haben alle solche Dinger an.«
    »Was meinen Sie? Treibt sich hier ein Bär rum oder nicht?«, fragte Amaia.
    »Dr. Takchenko und ich sind der Meinung, dass es für eine solche Aussage noch zu früh ist.«
    »Gibt es denn irgendeinen Hinweis?«
    »Was wir sagen können: Wir haben Spuren gefunden, die auf ein großes Tier hindeuten, was aber nichts beweist. Aber wir sind ja auch gerade erst angekommen und hatten kaum Zeit, die Gegend genauer unter die Lupe zu nehmen. Und jetzt wird es allmählich dunkel«, erklärte er und sah zum Himmel.
    »Wir machen uns gleich morgen früh an die Arbeit«, sagte Dr. Takchenko mit starkem Akzent. »Die Haarprobe, die Sie uns geschickt haben, stammt zweifelsfrei von einem Sohlengänger. Es wäre höchst interessant, auch eine Probe vom zweiten Fund zu erhalten.«
    Amaia wusste es zu schätzen, dass sie nicht aussprach, wo die Haare entdeckt worden waren.
    »Kriegen Sie, gleich morgen«, versprach Jonan.
    »Mehr können Sie uns nicht sagen?«, hakte Amaia nach.
    »Es gibt nicht mehr so viele Bären. Hier im Tal wurde der letzte im Jahr 1700 gesichtet. Damals hat man sogar festgehalten, welche Belohnung der Jäger erhalten hat. Seither gibt es keine offizielle Bestätigung dafür, dass je wieder ein Bär so weit ins Tal heruntergekommen ist, wobei immer wieder Gerüchte die Runde machten. Verstehen Sie mich nicht falsch, die Gegend hier ist wunderschön, aber Bären mögen nun mal keine Gesellschaft, nicht mal die ihrer Artgenossen. Von Menschen ganz zu schweigen. Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass man zufällig auf einen Bären trifft, weil Bären nämlich Menschen aus kilometerweiter Entfernung wittern und ihnen aus dem Weg gehen.«
    »Und wenn ein Bär sich hierher verirrt hat, weil er einer Bärin gefolgt ist? Ich habe gehört, dass Bären dafür Hunderte von Kilometern zurücklegen. Oder wenn er von etwas Besonderem angelockt wurde?«
    »Wenn Sie damit eine Leiche

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