Das Echo dunkler Tage
Mörder seine Vorgehensweise ganz schön geändert. Hat er Schuhe zurückgelassen? Wie sah die Leiche aus?«
»Na ja«, antwortete Zabalza zögerlich, als müsste er seine Worte gut abwägen. »Auch das lief anders ab als sonst. Entdeckt wurde das Mädchen von einigen Jungs, die es aber erst mal keinem erzählt haben. Einer hat es heute dann doch seinem Vater gebeichtet, und der ist sofort zur Hütte hoch, um nachzusehen, ob es stimmt. Er war es dann auch, der die Guardia Civil verständigt hat. Ein Streifenwagen ist hingefahren und hat bestätigt, dass dort eine Leiche liegt. Die Kollegen haben die üblichen Ermittlungen eingeleitet. Wie es aussieht, könnte es sich um ein Mädchen handeln, das vor einigen Tagen als verschwunden gemeldet wurde.«
Amaia konnte es nicht fassen.
»Warum wussten wir nichts davon?«
»Die Mutter hat sich an die Guardia Civil von Lekaroz gewandt, und Sie wissen ja, wie das so läuft.«
»Ach, ja? Wie läuft es denn?«
»Die machen ihre Arbeit, wir machen unsere, und wenn wir uns gegenseitig helfen können, helfen wir uns. Zumindest auf den unteren Ebenen.«
»Und in den höheren Chargen?«
»Kompetenzgerangel, Streit, Zurückhalten von Informationen. Das ganze Programm.«
»Das heißt, im Tal könnten noch mehr Mädchen verschwunden sein, und wir wissen nichts davon, weil sie bei der Guardia Civil als vermisst gemeldet wurden?«
»Die Ermittlungen leitet Teniente Padua, er ist schon auf dem Weg hierher. Die Vermisstenanzeige war sozusagen nicht offiziell. Die Mutter ist zwar jeden Tag auf dem Revier erschienen und hat darauf bestanden, dass ihrer Tochter etwas zugestoßen sein muss, aber es gab Zeugen, die behauptet haben, das Mädchen sei freiwillig gegangen.«
Teniente Padua stieg aus dem Nissan Patrol der Guardia Civil, trug aber im Gegensatz zu seinem Kollegen keine Uniform. Er stellte sich und seinen Begleiter vor und reichte Amaia die Hand.
»Bei dem Mädchen handelt es sich um Johana Márquez. Fünfzehn Jahre alt. Gebürtig in der Dominikanischen Republik. Kam mit vier nach Spanien, lebt in Lekaroz, seit sie acht ist. Die Mutter hat hier noch mal geheiratet, einen Landsmann, die beiden haben noch eine weitere Tochter, vier Jahre alt. Das Mädchen hatte immer wieder Streit mit den Eltern, weil es ihr nicht passte, zu einer bestimmten Uhrzeit zu Hause sein zu müssen. Sie ist deswegen schon mal abgehauen, zu einer Freundin, vor zwei Monaten. Und diesmal schien es wieder so zu sein, zumal sie einen Freund hatte, dafür gibt es Zeugen. Trotzdem ist die Mutter jeden Tag auf dem Revier erschienen, weil sie überzeugt war, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.«
»Womit sie offensichtlich recht hatte.«
Padua schwieg.
»Darüber können wir später noch reden«, sagte Amaia versöhnlich.
»Natürlich.«
Die Hütte war von der Straße aus nicht zu sehen. Erst als sie sich ein Stück durchs Unterholz gekämpft hatten, konnte sie sie zwischen den Bäumen ausmachen. Die Kletterpflanzen, die die ganze Fassade bedeckten, wirkten wie eine Tarnung. Amaia nickte den beiden Polizisten, die neben der Tür Wache standen, freundlich zu. Im Inneren der Hütte war es kühl und dunkel, trotzdem roch es nach Verwesung. Und nach parfümiertem Naphthalin. Amaia musste unwillkürlich an den Kleiderschrank ihrer Großmutter Juanita denken.
Sie brauchte einige Sekunden, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Durch die Schneemassen des vergangenen Winters war das Dach etwas abgesackt, aber die Träger selbst sahen so aus, als würden sie noch eine Weile durchhalten. An den Querbalken hingen schwarz gewordene Stoff- und Seilfetzen, und die Kletterpflanze war durch ein Loch im Dach nach innen gewachsen und diente als Halterung für Dutzende von grellbunten Duftsäckchen in Form von Früchten. Damit war auch klar, woher dieser merkwürdige Geruchsmix kam. Der Raum war rechteckig, am Rand standen ein großer alter Tisch und eine umgedrehte Bank. In der Mitte befand sich ein aufgequollenes Zweiersofa, das übersät war mit Wasser- und Urinflecken. Der Kamin war mit Müll vollgestopft, den offenbar jemand zu verbrennen versucht hatte. An dem Sofa lehnte eine Schaumstoffmatratze, die erstaunlich sauber war. Der Boden war mit einer feinen Schicht Erde überzogen, die dort, wo Wasser von der Decke getropft war, dunkle, inzwischen getrocknete Lachen gebildet hatte. Besenspuren deuteten darauf hin, dass jemand vor kurzem den Boden gefegt hatte. Eine Leiche war nicht zu sehen.
»Wo
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