Das Echo dunkler Tage
…?«
»Hinterm Sofa«, sagte Padua.
Er leuchte mit seiner Taschenlampe dorthin.
»Wir brauchen Scheinwerfer.«
»Werden gerade gebracht.«
Padua richtete den Lichtkegel auf die silbernen Sportschuhe und die weißen, leicht verschmutzten Socken. Amaia wich zurück, bis die Scheinwerfer installiert und die ersten Fotos gemacht waren. Sie schloss die Augen und betete kurz für die Seele des Mädchens. Dann machte sie sich an die Arbeit.
»Bitte alle raus, bis auf Teniente Padua, die Spurensicherung und meine Leute«, ordnete sie an. Neben einer uniformierten Beamtin der Guardia Civil war sie die einzige Frau. Beim FBI hatte sie gelernt, eine professionelle Höflichkeit an den Tag zu legen, wenn sie einen Fall übernahm, an dem bereits andere Kollegen arbeiteten. »Ich möchte wissen, wer hier drin war und wer was angefasst hat, das gilt vor allem für die Kinder und den Vater, der die Polizei verständigt hat. Jonan, du machst Fotos. Zabalza, wir beide schieben die Matratze weg. Und bitten aufpassen, wo Sie hintreten!«
»Oh«, rief Jonan, »das ist neu.«
Das Mädchen war extrem schlank. Ihre Haut war aufgeschwemmt, die Bräune hatte sich in einen dunklen Olivton verwandelt. Die Kleidung war in der Mitte aufgeschlitzt und nach beiden Seiten aufgeklappt, Stofffetzen bedeckten die Scham. Von der Schnur, die sich tief in den geschwollenen Hals gegraben hatte, waren nur die beiden Enden sichtbar. Eine Hand lag auf dem Bauch und hielt einen Strauß weißer Blumen, die mit einem ebenfalls weißen Band zusammengebunden waren. Die Augen waren halb geöffnet, ein schleimiger weißlicher Film überzog sie. Überall waren mal mehr, mal weniger verwelkte Blümchen verstreut: am Kopf, im gelockten Haar, um die Leiche herum, sodass sie wie eine Silhouette wirkten.
»Was ist denn das?«, murmelte Iriarte.
»Schneewittchen«, flüsterte Amaia schockiert.
Dr. San Martín, der gerade eingetroffen war, ging ums Sofa herum und stellte sich zu Amaia. Er zog sich Handschuhe an, kniete sich hin und tastete behutsam Kiefer und Arm des Mädchens ab.
»Der Zustand der Leiche lässt darauf schließen, dass sie schon eine Weile hier liegt, mehrere Tage, würde ich sagen.«
»Aber einige Blumen sind nicht älter als einen Tag«, wandte Amaia ein und deutete auf den Strauß auf dem Bauch.
»Dann muss hier jemand jeden Tag frische Blumen vorbeigebracht haben. Manche sind nämlich über eine Woche alt«, sagte San Martín. »Außerdem hat jemand die Leiche mit Parfüm besprüht.«
»Ist mir auch schon aufgefallen. Vielleicht ist der Flakon ja in dem Müllhaufen im Kamin.«
Beim Eintreten meinte sie so ein Parfümfläschchen gesehen zu haben. Es war ihr deshalb aufgefallen, weil Ros ihr vor zwei Jahren genauso einen sündhaft teuren Duft geschenkt hatte, den sie nur ein- oder zweimal aufgetragen hatte. James mochte es, aber sie hatte die süßliche Sandelholznote als zu aufdringlich empfunden. Eines stand fest: Nach diesem Fund hier würde sie es garantiert nie wieder benutzen.
Iriarte fischte ein rußverschmiertes Flakon aus dem Kamin und hielt es in die Höhe.
»Die Leiche ist nicht nur verfärbt, sondern bereits aufgebläht, was darauf hindeutet, dass das Mädchen schon circa eine Woche tot ist. Näheres kann ich aber erst nach der Autopsie sagen«, erklärte San Martín. Er betastete die Haut, kniff sie. »Die Haut hat sich noch nicht gelöst und weist einen ziemlich hohen Wassergehalt auf. Allerdings könnte dazu auch beigetragen haben, dass es hier kühl und dunkel ist. Fest steht nur, dass die Verwesungsgase bereits zu Aufblähungen geführt haben, wie man hier sieht.« Er zeigte auf den Bauch, der grünlich verfärbt war, und auf den geschwollenen Hals.
San Martín beugte sich wieder über die Leiche, offenbar war ihm etwas aufgefallen.
»Kommen Sie mal, Inspectora.« Amaia zog sich den Mundschutz über, den San Martín ihr reichte, und kam näher. »Da am Hals, sehen Sie das?«
»Ich sehe zwei große, deutlich abgegrenzte blaue Flecken links und rechts der Luftröhre.«
»Genau. Ich bin mir sicher, dass wir am Nacken noch weitere Flecken finden werden. Die Schnur scheint ein Ablenkungsmanöver zu sein, denn dieses Mädchen wurde mit den bloßen Händen erwürgt. Die beiden blauen Flecken stammen nämlich von den Daumen des Mörders. Fotografieren Sie das«, sagte er zu Jonan. »Und ich hoffe, dass Sie diesmal bei der Autopsie nicht kneifen.«
Jonan ließ die Kamera sinken und sah zu Amaia, die ihm aber keine Beachtung
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