Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Echo Labyrinth 02 - Die Reise nach Kettari

Titel: Das Echo Labyrinth 02 - Die Reise nach Kettari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frei
Vom Netzwerk:
wollte das Schicksal herausfordern. Ich lächelte herablassend: Hier irgendwo musste sich auch Lady Melamori herumtreiben, falls ihr nicht noch eine bessere Idee gekommen war, sich das Erlebnis mit mir aus dem Kopf zu schlagen. Und was sollte ich tun, wenn der Bärtige für eine Nacht sein Glück fände? Als flotter Dritter in die Zweisamkeit eindringen?
    Dazu kam es glücklicherweise nicht. Der Unbekannte hielt plötzlich inne und drehte sich zu mir um.
    »Du kommst zu spät, Jungchen«, sagte er mit dem starken Akzent der Leute aus Tascher. »Sieh mal, wie viele Menschen hier unterwegs sind. Wenn du auch nur einen Schritt näher kommst, rufe ich um Hilfe.«
    Er hielt mich offenbar für einen Räuber! Wofür hätte ein reicher Ausländer den verdächtigen Typ, der ihm schon seit einer halben Stunde folgte, sonst auch halten sollen?
    »Ich bin kein Verbrecher«, sagte ich mit strahlendem Lächeln, »sondern etwas viel Schlimmeres. Sie sind da in eine sehr üble Geschichte geraten. Ich bin Mitarbeiter des Kleinen Geheimen Suchtrupps des Vereinigten Königreichs. Haben Sie nicht Lust, mich ins Haus an der Brücke zu begleiten?«
    Mich erfüllte eine seltsame Heiterkeit, und ich zwinkerte dem Bärtigen zu. Mich mit dem Verdächtigen ausgerechnet im Stadtteil Rendezvous zu unterhalten, ließ mich plötzlich an alle möglichen Anekdoten aus dem Leben unserer sexuellen Minderheiten denken. Also stemmte ich die Rechte kokett in die Taille und flötete honigsüß: »Diese Nacht bin ich dein Schicksal. Wie heißt du denn, Schätzchen?«
    Das Schätzchen holte mit offenem Mund tief Luft. Anscheinend brachte ihn mein Manöver völlig durcheinander, doch seine Stimme blieb fest.
    »Sir, ich kann Sie nicht begleiten. Und sollten Sie mich dazu zwingen wollen, werde ich mich wehren.«
    Mit diesen Worten zog der Bärtige ein riesiges Messer aus der Jacke, das in Tascher bestimmt als gewöhnliche Waffe gilt.
    »Niemand mag mich!«, jammerte ich. »Gut, dann müssen wir eben miteinander kämpfen. Umso besser für mich, denn ich kenne deine Schwachstelle, mein Freund. Ich muss dich nicht erst in Einzelteile zerlegen, sondern brauche bloß deinen Gürtel zu berühren und Zusehen, was passiert. Na, willst du es dir nicht doch noch anders überlegen?«
    Die unangenehmen Erlebnisse der letzten vierundzwanzig Stunden ließen mich unerwartet tapfer sein. Ich staunte über mich selbst und glaubte wohl, ohnehin nichts mehr zu verlieren zu haben. Offenbar teilte mein Gegner diese Lebenseinstellung.
    »Von wegen!«, rief er wütend und nahm das Messer in die andere Hand. »Kämpfen wir ruhig. Sie tun mir jetzt schon leid, Sir.«
    Blitzschnell schleuderte er sein Messer, und die silberne Klinge landete in meinem Bauch - besser gesagt: Sie hätte dort landen sollen. Doch ich hatte keinen Bauch.
    Ehrlich gesagt begreife ich bis heute nicht, was mir damals widerfahren ist. Ich hätte wie der Held eines Low-Budget-Films auf dem Gehsteig des Stadtteils Rendezvous zusammenbrechen und theatralisch zitternd verenden sollen. Warum geschah das nicht? Schwer zu sagen. Ich schätze, in diesem Moment wirkte ein Schutzzauber von Sir Juffin, mit dem er mich ohne mein Wissen ausgestattet haben musste.
    Das Messer drang nicht in meinen Unterleib, sondern fiel klirrend auf den Mosaikgehsteig. Ich versuchte zu begreifen, was geschehen war, und merkte, dass ich physisch nicht vorhanden war. Nirgendwo. Auf merkwürdige Weise hatte ich mich in Luft aufgelöst - freilich nur für eine Sekunde. Dann war ich wieder da, und zwar rechtzeitig, um auf das Messer zu treten - und auf die Hand meines Gegners, die gierig danach griff.
    »Hoppla!«, rief ich amüsiert. »Soll ich dir den Gürtel jetzt schon abnehmen, oder gehen wir dazu ins Haus an der Brücke? Entscheide du - heute ist schließlich dein großer Tag.«
    Der Bärtige mobilisierte plötzlich so enorme Kräfte, dass ich befürchtete, meine Chancen in diesem Kampf seien fast null. Der Todesmantel und das viele gute Essen hatten aus mir einen trägen, unvorsichtigen Jungen gemacht. Der bärtige Polarfuchs begann, mich niederzuringen, und das gefiel mir nicht.
    Ich wollte ihn nicht bespucken, denn sein Tod wäre nutzlos und dumm gewesen. Und vielleicht kannte er das eine oder andere aufschlussreiche Geheimnis. Andererseits aber hatte es keinen Sinn, mit diesem starken Mann zu kämpfen. In körperlichen Auseinandersetzungen war ich noch nie besonders gut. Vor harmlosen Plänkeleien fürchte ich mich nicht, doch auf

Weitere Kostenlose Bücher