Das Echo
dagesessen hatte, nahm überrascht die Hand. »Ich glaube« - er blickte auf die Male an Terrys Hals -, »ich bin derjenige, der sich entschuldigen muß.«
»Nee, Mike hat schon recht. Ich hab’ dich soweit getrieben. Du hast mehr Mumm, als du glaubst. Du hast gesagt, du würdest mir zeigen, wo’s langgeht, und das hast du getan.«
Barry schien ihm schon zustimmen zu wollen, als er Deacons Blick auffing und sich anders besann. Das einzige, was Deacon seit seiner Rückkehr in die Küche zu ihm gesagt hatte, war: »Es ist mir gleich, wie sehr er dich provoziert hat, Barry, aber wenn du noch einmal eine Hand gegen ein Kind erhebst, nehm’ ich dich auseinander.«
Jetzt wies Deacon auf einen freien Stuhl und schob seine Übersichtstafel zur Seite. »Setz dich«, sagte er und hielt einen Moment inne, um dem Läuten der Glocken zur Mitternachtsmesse zu lauschen. »Vielleicht hätten wir zur Kirche gehen sollen«, meinte er mit einer Kopfbewegung zum Fenster. »Als ich ein Kind war, sind wir jedes Jahr zur Mitternachtsmesse gegangen. Es war, soweit ich mich erinnern kann, der einzige Moment, wo wir uns wie eine normale Familie verhielten.«
Terry, froh über dieses Waffenstillstandsangebot, wurde wieder munterer. »Seid ihr auch in der Nacht gegangen, als dein Dad sich erschossen hat?«
Deacon mußte über Barrys entsetztes Gesicht lächeln, aber das Entsetzen galt, so vermutete er, Terrys Mangel an Sensibilität und nicht dem Tod seines Vaters. »Nein. Wenn wir gegangen wären, hätte er es nicht getan. Wir sind nicht mehr zur Kirche gegangen, als meine Eltern aufhörten, miteinander zu reden.«
»Billy hat oft gesagt, gemeinsames Gebet hält die Familie zusammen.«
Deacon antwortete nicht, weil er dem Jungen die Illusion nicht rauben wollte. Er dachte oft, daß es die angestaute Enttäuschung über tausend unerhörte Gebete gewesen war, die zum Zerfall seiner Familie geführt hatte. Bitte, lieber Gott, gib, daß Pa nett zu meinen Freunden ist… Bitte, lieber Gott, laß Pa krank sein, damit er nicht zum Sportfest kommen kann… Bitte, lieber Gott, laß Pa sterben…
»Mein Vater war Atheist«, bemerkte Barry entschuldigend, als wollte auch er den Jungen nicht desillusionieren.
»Lebt er nicht mehr?« fragte Terry.
»Nein, er ist an einem Herzinfarkt gestorben, als ich zehn war.« Barry seufzte. »Es war sehr traurig. Meine Mutter hat sich danach völlig verändert. Sie war immer so vergnügt, aber jetzt - na ja, das schlimme ist, daß ich meinem Vater so ähnlich sehe. Ich glaube, das nimmt sie mir übel.«
Das Gespräch geriet ins Stocken, und sie lauschten schweigend dem Läuten der Glocken. Deacon bedauerte es, Erinnerungen wachgerufen zu haben, wenn es auch in bester Absicht geschehen war. In zwanzig Jahren war er den schrecklichen Anblick des blutbespritzten Arbeitszimmers und des formlosen Bündels, das einst sein Vater gewesen war, nicht losgeworden. Selbstmord, dachte er, war die unverzeihlichste Todesart, weil einem keine Zeit vergönnt wurde, sich auf den Schock des Verlustes vorzubereiten. Aller Schmerz, den er vielleicht empfunden hatte, war in Ekel untergegangen, als er Blut und Gehirn seines Vaters von Wänden, Bildern, Regalen und Büchern gewischt hatte.
Unwillkürlich mußte er an jenen anderen Selbstmord denken. »Ich möchte wissen, warum Verity sich erhängt hat«, murmelte er.
»Ich glaub’ nicht, daß sie’s selbst getan hat«, sagte Terry. »Ich glaub’, daß Billy sie umgebracht hat. Das hätte mehr als gereicht, ihn in den Wahnsinn zu treiben.«
Deacon schüttelte den Kopf. »Das hat die Polizei doch als allererstes untersucht. Die Indizien für einen Selbstmord müssen sehr überzeugend gewesen sein.«
»Ich könnte mir denken, daß Anne Cattrell recht hat«, sagte Barry. »Wenn Verity durch Zufall erfahren hat, daß sie den Mörder ihres Mannes geheiratet hat, wäre das für sie nicht Grund genug gewesen, sich das Leben zu nehmen?«
»Das leuchtet mir nicht ein. Sie hat Geoffrey Standish gehaßt.« Deacon starrte einen Moment nachdenklich ins Leere. »Roger Hydes Buch zufolge glaubte ihr Sohn, sie hätte eine Affäre gehabt.« Er kreiste Veritys Namen ein und zog eine Verbindungslinie zu James Streeter hinunter. »Wie wär’s damit? Überlegt mal, wie ähnlich James und Peter einander waren. Sie hätte James allein schon vom Äußeren her attraktiv gefunden. Das wäre eine Erklärung für Billys Interesse an Amandas Adresse.«
»Du meinst, er wollte sich rächen?« fragte
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