Das Echo
fragte sich, wie es wäre, sie zu küssen. »Sind Sie im Moment verheiratet, Amanda?«
»Ja.«
»Und was macht Ihr Mann?«
Sie hob ihr Glas zum Mund und senkte es rasch mit einem Stirnrunzeln, als Lisa eine weitere Aufnahme schoß. »Mein Mann war nicht hier, als ich den Toten fand«, antwortete sie. »Es ist darum völlig belanglos, was er tut.«
Deacon fing Lisas Blick zynischer Erheiterung auf. »Aber so etwas interessiert den Leser«, sagte er leichthin. »Die Leute wollen wissen, mit was für einem Mann eine erfolgreiche Architektin verheiratet ist.«
Vielleicht merkte sie, daß seine Neugier persönlicher Natur war, oder vielleicht gab es, wie Lisa vermutet hatte, gar keinen Mr. Powell. Wie dem auch sein mochte, sie ließ sich nicht aus der Reserve locken. »Den Toten habe ich gefunden«, wiederholte sie, »und meine Angaben haben Sie bereits. Wollen wir weitermachen?«
Deacon wurde unbehaglich unter dem unverwandten Blick aus den hellen Augen, die denen seiner Mutter so ähnlich waren, und seine freundliche kleine Phantasievorstellung, sie zu küssen, bekam eine sadistisch rachsüchtige Färbung. Er konnte sich vorstellen, wie JP auf die mageren Informationen reagieren würde, die er ihr bisher mit Mühe aus der Nase gezogen hatte. Name, Dienstgrad, Nummer. Und er hatte wenig Zuversicht, daß die Fotos besser sein würden. Ihre Gesichtszüge waren so beherrscht wie die eines erstarrten Kriegsgefangenen, der sich in die Enge getrieben sieht. Er fragte sich, ob in ihrem kühlen Gesicht je Feuer geglüht hatte oder ihr Leben ganz ohne Leidenschaften gewesen war. Wie vorauszusehen, erregte ihn der Gedanke.
»Also gut«, sagte er, »sprechen wir darüber, wie Sie den Toten gefunden haben. Sie sagten, Sie seien erschüttert gewesen. Können Sie mir das Erlebnis beschreiben? Was für Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf, als Sie ihn sahen?«
»Abscheu«, antwortete sie, bemüht, einen neutralen Tonfall zu bewahren. »Er war hinter einem Stapel leerer Kartons in der Ecke und hatte sich mit einer alten Decke zugedeckt. Der Geruch war wirklich schlimm, als ich die Decke weggenommen hatte.« Sie verzog plötzlich angeekelt den Mund und zwinkerte, als das Blitzlicht des Fotoapparats ihre Augen traf. »Später, nachdem die Polizei mir gesagt hatte, daß er an Unterernährung gestorben war, habe ich mich immer wieder gefragt, warum er keinen Versuch gemacht hat, sich zu retten. Es war ja nicht nur, daß ich ihn neben meiner Tiefkühltruhe gefunden habe« - sie wies mit einer Geste der Bekümmerung zum Fenster -, »hier in der Gegend sind die Leute alle so wohlhabend, daß man selbst in den Mülltonnen immer etwas zu essen findet.«
»Und was glauben Sie?«
»Ich kann es mir höchstens damit erklären, daß er, als er meine Garage fand, schon so schwach war, daß er nur noch die Kraft besaß, in eine Ecke zu kriechen und sich zu verstecken.«
»Warum soll er versucht haben, sich zu verstecken?«
Sie musterte ihn einen Moment lang. »Ich weiß es nicht. Aber wenn er sich nicht verstecken wollte, warum hat er dann nicht versucht, mich aufmerksam zu machen? Die Polizei meint, er muß am Samstag in die Garage eingedrungen sein. Das war die einzige Gelegenheit, die er hatte. Ich war an dem Nachmittag beim Einkaufen und hatte das Tor ungefähr eine halbe Stunde lang offengelassen.« Soweit sie überhaupt fähig war, Gefühl zu zeigen, tat sie es. Sie hob mit einer nervösen, fahrigen Bewegung eine Hand zu ihrem Mund, ehe sie sich an die Kamera erinnerte und die Hand hastig senkte. »Ich fand ihn am folgenden Freitag, und der Pathologe meinte, da sei er fünf Tage tot gewesen. Das heißt, daß er am Sonntag noch lebte. Ich hätte ihm helfen können, wenn er gerufen hätte. Warum hat er es nicht getan?«
»Vielleicht hatte er Angst.«
»Wovor?«
»Daß Sie ihn wegen unbefugten Eindringens der Polizei übergeben würden.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ganz sicher nicht. Er hatte keine Angst vor Polizei oder Gefängnis. Soviel ich weiß, wurde er ziemlich regelmäßig festgenommen. Weshalb hätte er dieses Mal Angst haben sollen?«
Deacon machte sich in Kurzschrift Notizen, um die verschiedenen Nuancen ihres Ausdrucks im Gedächtnis zu behalten, die sich in ihrem Gesicht spiegelten, während sie über Billy sprach. Ängstliche Besorgnis. Unruhe. Verwirrung. Es wurde immer seltsamer. Was bedeutete Billy Blake ihr, daß er solche Gefühle hervorrufen konnte?
»Vielleicht war er einfach zu schwach, um Sie auf sich
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