Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
Vom Netzwerk:
und stellte erstaunt fest, wie zutreffend ihre Beschreibung der jungen Frau war. Verglichen mit der Schneekönigin im Sessel gegenüber war Lisa mit ihrem dunkel umrandeten Schmollmund und dem knallengen Röckchen schrill und aufreizend, und er fühlte sich hintergangen durch die Tatsache, daß er so lange stumm nach ihr gegiert hatte, da sie doch Begierde geradezu herausforderte. Er kam sich vor wie einer von Pawlows Hunden, den man mit List und Tücke dazu gebracht hatte, jedesmal zu sabbern, wenn sein Appetit stimuliert wurde, und die Vorstellung widerte ihn an. Er nahm seine Schlüssel aus der Tasche und schlug Lisa vor, den Wagen zu nehmen, um mit ihrer Ausrüstung in die Redaktion zurückzufahren. »Ich nehme ein Taxi, wenn ich fertig bin«, sagte er. »Hinterleg die Schlüssel bei Glen am Empfang. Ich hole sie mir dann dort ab.«
    Sie nickte, froh um einen Vorwand, verschwinden zu können, und er bereute augenblicklich seinen Verrat. Es war kein Verbrechen, sich in leuchtenden Farben zu zeigen; es war das Vorrecht der Jugend. Sie ließ ihren Fotoapparat draußen, als sie zusammenpackte, dann ging sie mit einem kurzen Nicken in Amandas Richtung zur Tür hinaus.
    Sie hörten das Klappern der Garagenschlüssel, die vom Tisch im Vestibül genommen wurden. Amanda seufzte. »Ich war sehr grob zu ihr. Das tut mir leid. Es fällt mir schwer, Billys Tod so beiläufig abzuhandeln, wie Sie beide das tun.« Sie betrachtete einen Moment lang ihr Glas, als wüßte sie, daß sie sich verraten hatte, dann stellte sie es auf den Tisch.
    »Sie scheinen seinen Tod tatsächlich sehr persönlich zu nehmen.«
    »Er ist in meiner Garage gestorben.«
    »Aber deswegen sind Sie doch nicht für ihn verantwortlich.«
    Sie sah ihn verständnislos an. »Wer ist dann verantwortlich?«
    Die Frage war stark vereinfachend - die Frage eines Kindes.
    »Billy selbst«, antwortete Deacon. »Er war alt genug, um für sich zu entscheiden.«
    Sie schüttelte den Kopf, dann beugte sie sich vor und sah ihm ernst und forschend ins Gesicht. »Sie haben gestern gesagt, Billys Geschichte hätte Sie berührt, könnten wir also über sein Leben sprechen anstatt über seinen Tod? Ich weiß, ich habe gesagt, daß ich Ihnen nichts darüber erzählen könnte, aber das stimmt nicht ganz. Ich weiß mindestens soviel wie die Polizei.«
    »Ich höre.«
    »Nach dem Urteil des Pathologen war er fünfundvierzig Jahre alt und einen Meter sechzig groß, und er muß, wenn auch sein Haar inzwischen ganz weiß war, früher dunkel gewesen sein. Zum erstenmal wurde er vor vier Jahren festgenommen, weil er in einem Supermarkt Brot und Schinken gestohlen hatte. Er nannte sich Billy Blake und gab sein Alter mit fünfundsechzig an, machte sich also, wenn der Pathologe recht hat, um fast zwanzig Jahre älter.« Sie sprach rasch und flüssig, als hätte sie viel Zeit darauf verwendet, die Fakten für einen solchen Vortrag zu ordnen. »Er sagte, er lebe seit zehn Jahren auf der Straße, lehnte es aber ab, weitere Auskünfte zu geben. Er weigerte sich zu sagen, woher er kam und ob er Familie hatte. Die Polizei hat dann beim Vermißtendezernat in London und im Südosten nachgefragt, aber in den letzten zehn Jahren war keine Person, auf die seine Beschreibung passen würde, als vermißt gemeldet worden. Seine Fingerabdrücke, soweit vorhanden, befanden sich nicht in den Polizeiakten, und er hatte nichts bei sich, anhand dessen sich seine Identität hätte feststellen lassen. Mangels anderer Informationen registrierte die Polizei die Angaben, die er machte, und in den folgenden vier Jahren lebte er unter dem Namen Billy Blake. Er verbrachte insgesamt sechs Monate wegen Diebstahls von Nahrungsmitteln oder Alkohol im Gefängnis. Das Strafmaß betrug jedesmal ein oder zwei Monate. Wenn er auf freiem Fuß war, suchte er sich am liebsten ein Quartier, das so nahe wie möglich an der Themse war. Sein bevorzugter Aufenthalt war eine leerstehende Lagerhalle ungefähr anderthalb Kilometer von hier. Ich habe mit einigen der anderen alten Männer gesprochen, die dort untergekrochen sind, aber keiner von ihnen wollte zugeben, irgendwas über Billys Geschichte zu wissen.«
    Deacon war beeindruckt vom Umfang ihres Interesses und ihrer Bemühungen. »Was meinten Sie, als Sie eben sagten, ›seine Fingerabdrücke, soweit vorhanden‹?«
    »Die Polizei sagte mir, er hätte sich irgendwann bei einem Feuer die Hände verbrannt und sie ohne ärztliche Behandlung heilen lassen. Beide waren so stark

Weitere Kostenlose Bücher