Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
Vom Netzwerk:
aufmerksam zu machen. Der Pathologe kann vermutlich nicht sagen, ob er am Sonntag noch bei Bewußtsein war?«
    »Nein«, antwortete sie langsam, »aber ich kann es. In der Tiefkühltruhe war ein Beutel mit Eiswürfeln. Jemand hatte ihn geöffnet, und ich war es nicht, das weiß ich. Es muß also Billy gewesen sein. Und in einer Ecke der Garage waren Urinspuren. Wenn er kräftig genug war, sich zu bewegen, dann wäre er auch kräftig genug gewesen, um an die Verbindungstür zwischen der Garage und dem Hausflur zu klopfen. Er mußte gewußt haben, daß ich an dem Wochenende da war. Er hätte mich hören können. Die Tür ist nicht so dick, daß sie keine Geräusche durchläßt.«
    »Was hat denn die Polizei dazu gesagt?«
    »Nichts«, antwortete sie. »Es hat ja nichts am Befund des Pathologen geändert. Billy ist an Unterernährung gestorben, ob nun absichtlich oder nicht.«
    Er zündete sich eine frische Zigarette an und betrachtete sie durch den Rauch. »Wieviel haben Sie für die Feuerbestattung bezahlt?«
    »Spielt der Betrag eine Rolle?«
    »Das kommt darauf an, für wie zynisch Sie den Durchschnittsleser halten. Er könnte glauben, daß Sie mit der Summe nicht herausrücken wollen, weil Sie den Eindruck erwecken möchten, Sie hätten mehr ausgegeben.«
    »Fünfhundert Pfund.«
    »Weit mehr, als Sie ihm gegeben hätten, wenn er noch am Leben gewesen wäre?«
    Sie nickte. Klick. »Wenn er mir als Bettler auf der Straße begegnet wäre, hätte ich fünf Pfund für großzügig gehalten.« Klick. Klick. Sie warf Lisa einen irritierten Blick zu, machte ein Gesicht, als wollte sie etwas sagen, überlegte es sich dann anders. Ihre Züge verschlossen sich wieder.
    »Sie sagten gestern, Sie hätten das Gefühl gehabt, ihm etwas zu schulden. Was genau?«
    »Respekt, nehme ich an.«
    »Weil Sie meinten, er hätte zu Lebzeiten keinen bekommen?«
    »So was in der Richtung«, gab sie zu. »Aber es klingt lächerlich sentimental, wenn man es in Worte faßt.«
    Er schrieb einen Moment. »Gehören Sie einer Konfession an?«
    Sie wandte sich ab, als erneut ein Blitz ihre Augen traf. »Hat sie denn immer noch nicht genug Aufnahmen?«
    Lisa hielt das Objektiv auf Amanda Powells Gesicht gerichtet. »Nur noch ein paar Bilder mit gesenktem Blick, Amanda.« Klick. »Ja, das ist wirklich gut, Amanda.« Klick. »Etwas mehr Mitgefühl vielleicht.« Klick. »Wunderbar, Amanda.« Klick, klick, klick.
    Deacon sah den wachsenden Ärger der Frau. »Das reicht, Smith. Machen wir Schluß.«
    »Vielleicht noch ein paar in der Garage«, schlug Lisa Smith vor, die die letzten Aufnahmen des Films nicht gern vergeuden wollte. »Es geht ganz schnell.«
    Mrs. Powell starrte in die blutroten Tiefen ihres Glases, ehe sie einen Schluck trank. »Bitte«, sagte sie, ohne den Kopf zu heben. »Die Schlüssel liegen auf dem Tisch im Vestibül, und das Licht geht automatisch an, wenn das Tor in die Höhe geht. Die Verbindungstür benutze ich nicht mehr.«
    »Ich meinte, mit Ihnen«, sagte Lisa. »Sie müßten schon mitkommen. Wenn es da draußen kalt und feucht ist, gäbe das gute Stimmungsbilder. Die würden sich zu der Story vom verhungerten Penner gut machen.«
    Die Frau blieb so reglos, daß Lisa glaubte, sie hätte ihr nicht zugehört. Sie versuchte es noch einmal. »Fünf Minuten, Amanda, mehr brauchen wir nicht. Sie könnten sich vielleicht dahin stellen, wo Sie ihn gefunden haben, ein bißchen bekümmert oder so.«
    Das einzige Geräusch im Zimmer war das Ticken einer Uhr auf dem Kamin, und es schien immer lauter zu werden, während sich Amanda Powells Schweigen in die Länge zog. Deacon hatte den Eindruck, als wartete sie auf etwas, und er hielt den Atem an und wartete mit ihr. Er erschrak beinahe, als sie plötzlich sprach. »Tut mir leid«, sagte sie zu Lisa, »aber Sie und ich sind wirklich grundverschieden. Ich könnte so wenig mit tränenumflortem Blick an der Stelle posieren, wo Billy gestorben ist, wie ich Ihre Bums-mich-Fummel oder Bums-mich-Make-up tragen könnte. Weder bin ich so ordinär, noch habe ich es so verzweifelt nötig, beachtet zu werden.«
    Beim letzten Satz gerieten die Zischlaute ein ganz klein wenig undeutlich, und ihre vorsichtige Sprechweise verriet sie. Verblüfft erkannte Deacon, daß sie betrunken war.

3
    Es war gefährlich, wenn sich ein Schweigen zu lange ausdehnt. Die Wirkung ihrer Worte verpuffte nicht in einem Vakuum; vielmehr wuchs sie und gewann an Gewicht. Deacon konnte nicht umhin, Lisa mit ihren Augen zu sehen,

Weitere Kostenlose Bücher