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Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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vernarbt, daß die Finger nur noch wie Klauen waren. Die Polizei meint, er habe sich absichtlich verstümmelt, um zu vermeiden, daß er wegen eines früher verübten Verbrechens zur Rechenschaft gezogen wurde.«
    »Scheiße!« sagte er unbedacht.
    Sie stand auf und ging zu dem Glasschrank an der gegenüberliegenden Wand. »Wie ich vorhin schon sagte, es gibt Fotos von ihm.« Sie nahm einen Umschlag aus dem Schrank, dessen Inhalt sie in ihre Hand gleiten ließ, als sie zurückkam. »Ich habe die Polizei überredet, mir zwei zu überlassen. Das ist das beste von denen, die in der Pathologie gemacht wurden. Es ist nicht gerade vorteilhaft, und sie haben Zweifel, daß ihn nach diesem Foto jemand erkennen würde.« Sie reichte ihm die Aufnahme. »Sein Gesicht ist durch die Abmagerung sehr geschrumpft. Die Tatsache, daß Stirn und Kinn so stark hervortreten, läßt darauf schließen, daß er, als er noch bei Gesundheit war, ein wesentlich volleres Gesicht hatte.«
    Deacon betrachtete das Bild. Sie hatte recht. Es war nicht sehr erfreulich. Er mußte an die Leichenberge in Bergen-Belsen bei der Befreiung durch die Alliierten denken. Das Gesicht war nahezu fleischlos, so straff spannte sich die Haut über den Knochen. Sie reichte ihm das andere Foto. »Das wurde vor vier Jahren gemacht, als er zum erstenmal festgenommen wurde. Aber es ist nicht viel besser. Er war schon damals nur Haut und Knochen. Es vermittelt allerdings eine klarere Vorstellung davon, wie er vielleicht einmal ausgesehen hat.«
    Konnte dies wirklich das Gesicht eines Einundvierzigjährigen sein? Greisenhaftigkeit hatte sich in tiefen Kerben rund um den Mund eingegraben, und die Augen, die in die Kamera blickten, waren wäßrig und gelblich verfärbt. Nur das Haar über der hohen Stirn besaß eine gewisse Lebendigkeit, auffallend in seinem Weiß über dem gelblichen Teint. »Könnte der Pathologe sich hinsichtlich seines Alters geirrt haben?« fragte er.
    »Anscheinend nicht. Wie ich gehört habe, hat er einen zweiten Sachverständigen hinzugezogen, als die Polizei seinem Urteil nicht glaubte. Ich habe mir gedacht«, fuhr sie fort, »daß jemand mit der richtigen Software aus den Bildern etwas weiterentwickeln könnte, aber ich kenne niemanden, der auf diesem Gebiet Spezialist ist. Wenn Ihre Zeitschrift das tun könnte, wären solche Bilder weit bessere Illustrationen für Ihren Artikel als ein Foto von mir.«
    »Und warum hat die Polizei das nicht versucht?«
    »Er hat vor seinem Tod kein Verbrechen verübt, also interessiert er sie auch nicht. Ich glaube, sie haben seine Beschreibung in einen Computer des Vermißtendezernats eingegeben, aber sie deckte sich mit keiner der gespeicherten Daten, da haben sie ihn eben abgeschrieben.«
    »Darf ich mir die Bilder ausleihen? Wir lassen Abzüge machen, und dann kann ich sie ihnen zurückgeben.« Er schob die Fotografien zwischen die Blätter seines Blocks, als sie zustimmend nickte. »Hat die Polizei eigentlich noch eine andere mögliche Erklärung dafür gefunden, daß er sich ausgerechnet in Ihrer Garage verkroch - ich meine, neben der Tatsache, daß an dem fraglichen Tag zufällig das Tor offen war?«
    Sie setzte sich wieder und faltete ihre Hände im Schoß. Deacon bemerkte überrascht, wie weiß ihre Handknöchel hervortraten. »Sie meinte, er könnte mir vom Büro aus nach Hause gefolgt sein. Einen einleuchtenden Grund dafür, warum er das hätte tun sollen, konnte sie mir allerdings nicht nennen. Wenn er sich mich ausgesucht hat, weil er meinte, es würde sich lohnen, mir zu folgen, dann hätte er mich doch um Hilfe gebeten. Meinen Sie nicht auch?«
    Sie wandte sich auf einer intellektuellen Ebene an ihn, aber Deacon fühlte sich mehr von dem nervösen Zucken ihres Mundwinkels angesprochen. Er hatte es zuvor nicht bemerkt. Er begriff langsam, daß ihre Gefaßtheit rein oberflächlich war und unter der Oberfläche weit turbulentere Strömungen am Werk waren.
    »Ja«, antwortete er. »Es wäre unsinnig gewesen, Ihnen ohne Grund zu folgen. Also? Könnte es noch einen anderen Grund gegeben haben?«
    »Was denn für einen?«
    »Vielleicht glaubte er, Sie zu erkennen.«
    »Als wen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wäre es denn nicht noch wahrscheinlicher, daß er mich angesprochen hätte, wenn er geglaubt hätte, mich zu kennen?« Sie warf ihm die Frage so schnell entgegen, daß er den Verdacht hatte, sie habe sie sich selbst bereits viele Male gestellt.
    Er kratzte sich am Kinn. »Vielleicht war er zu dem

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