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Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Nur ein einziges Mal akzeptiert zu werden, sagte er sich, wäre genug. Es war ja ein so bescheidener Wunsch. Sich einen einzigen Abend lang dazugehörig zu fühlen, einen Witz zu erzählen und Gelächter hervorzurufen, am nächsten Morgen sagen zu können: Ich war mit einem Freund einen trinken.
    Vor dem Pub blieb er unvermittelt stehen und begann mit einem großen weißen Taschentuch wie ein Wilder seine Brille zu putzen. »Ich glaube, ich fahr’ doch besser nach Hause, Mike. Ich wußte nicht, daß es schon so spät ist. Wenn ich Ihnen diese Negative machen soll, kann ich’s mir nicht leisten zu verschlafen.«
    »Ach was, für ein Glas Bier haben Sie schon noch Zeit«, versetzte Deacon unbekümmert. »Wo wohnen Sie? Ich setz’ Sie ab, wenn’s auf meinem Weg ist.«
    »Camden.«
    »Na bitte. Ich muß nach Islington.« Er schwang Barry freundschaftlich einen Arm um die Schultern und schob ihn durch die Tür ins Lame Beggar.
    Aber Barrys düstere Vorahnungen erwiesen sich als wohlbegründet. Innerhalb von Minuten war Deacon im feuchtfröhlichen Gedränge vorweihnachtlicher Zecher untergetaucht, während Barry nichts anderes zu tun blieb, als die Wand anzustarren und peinliche Verlegenheit und Einsamkeit hinter einer Miene gespielter Unbekümmertheit zu verbergen. Als er sah, daß Deacon zu betrunken war, um ihn nach Hause zu fahren oder sich überhaupt noch an sein Angebot zu erinnern, begann ein scheußliches Gefühl erlittenen Unrechts in ihm zu wachsen. Konfuse Anwandlungen von Heldenverehrungen verwandelten sich in erbitterten Groll. Seinetwegen konnte die Welt untergehen, ehe Deacon von ihm erfahren würde, wer Billy Blake wirklich war.
    23 Uhr - Kapstadt, Südafrika
    Es war ein warmer Sommerabend am westlichen Kap. Eine gutgekleidete Frau saß allein auf der Glasveranda des Victoriaand-Alfred-Hotels vor einer Tasse Kaffee, die sie kaum anrührte. Sie kam regelmäßig hierher, dennoch war nicht mehr über sie bekannt, als daß ihr Name Mrs. Metcalfe war. Sie aß und trank stets wenig, und den Kellnern war es ein Rätsel, warum sie überhaupt kam. Sie schien an ihrer einsamen Mahlzeit wenig Vergnügen zu finden und zog es vor, den anderen Gästen möglichst den Rücken zu kehren. Sie blickte zum Hafen hinaus, wo sie, wäre es Tag gewesen, die Seehunde gesehen hätte, die zwischen den vertäuten Schiffen zu spielen pflegten. Der Abend bot weniger Zerstreuung, und ihr Gesicht war wie immer gelangweilt.
    Um elf Uhr erschien ihr Fahrer am Empfang, und nachdem sie die Rechnung bezahlt hatte, ging sie. Ihr Kellner steckte das stattliche Trinkgeld ein und überlegte nicht zum erstenmal, was sie trieb, regelmäßig jeden Mittwochabend hierherzukommen, um drei Stunden lang etwas zu tun, das sie so unerfreulich fand.
    Wäre sie nur im entferntesten zugänglich gewesen, so hätte er sie vielleicht danach gefragt, aber sie war eine typische zugeknöpfte, verkniffene Weiße, und ihre Beziehung war rein geschäftlicher Natur.

4
    Auch wenn Deacon überrascht war, daß Barry Grover verschwunden war, ohne ein Wort zu sagen, machte er sich doch weiter keine Gedanken darüber. Er war selbst schon zu oft mitten im schönsten Besäufnis gegangen, um es als ungewöhnlich zu betrachten. Außerdem war er froh, den Mann nicht nach Hause fahren zu müssen. Er war nicht so betrunken, wie Barry geglaubt hatte, aber er hatte sein Maß eindeutig überschritten und beschloß deshalb, seinen Wagen stehenzulassen und ein Taxi zu nehmen. Er lebte in einer gemieteten Mansardenwohnung, und je näher sie Islington kamen, desto tiefer drückte die Depression ihn in seinen Sitz. Er und Barry hatten etwas gemeinsam, dachte er, wenn Barrys lange Arbeitszeiten bedeuteten, daß er Deacons Abneigung gegen das Nachhausekommen teilte. Die Parallele machte ihn plötzlich neugierig. Was für Gründe hatte Barry? Fürchtete er wie Deacon die Leere einer Wohnung, die nichts Persönliches barg, weil es nichts aus seiner Vergangenheit gab, woran er sich gern erinnern wollte?
    Er versank noch tiefer in wehleidiger Düsternis und ergab sich seinem vom Alkohol inspirierten Selbstekel. Er war an allem schuld. Am Tod seines Vaters. An seinen kaputten Ehen. An der Bitterkeit und Ablehnung seiner Familie. (Herrgott noch mal, er wünschte, er könnte die Erinnerung an die Augen dieser verdammten Frau loswerden. Die Erinnerung an seine Mutter hatte ihn den ganzen Abend gepeinigt.) Keine Kinder. Keine Freunde, weil sie alle die Partei seiner ersten Frau ergriffen hatten.

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