Das Echo
Er mußte von allen guten Geistern verlassen gewesen sein, die eine Frau zu betrügen, nur um dann zu erfahren, daß die zweite den Preis nicht wert war, den er für sie bezahlt hatte.
Von Zeit zu Zeit warf ihm der Taxifahrer durch den Rückspiegel einen teilnahmsvollen Blick zu. Er erkannte die Melancholie eines Menschen, der trank, um seinen Kummer zu ertränken. Diesen Leuten begegnete man in der Vorweihnachtszeit überall in London.
Deacon erwachte mit einem Gefühl zielbewußter Entschlossenheit, was bei ihm ungewöhnlich war. Er schrieb es der Tatsache zu, daß er im Unterbewußtsein das Gespräch mit Amanda Powell wieder und wieder durchgespielt hatte und dadurch seine Neugier weiter angefacht worden war. Wieso rief die Erwähnung Billy Blakes, eines Wildfremden, eine emotionale Reaktion hervor, die ihres Mannes, James Streeter, hingegen nicht? Nicht einmal Zorn.
In der Einsamkeit seiner Küche dachte er über die Frage nach, während er seinen Kaffee umrührte und mißmutig auf die kahlen weißen Wände und die kahlen weißen Einbauten starrte, die ihn umgaben. Wie vorauszusehen, wandten seine Gedanken sich nach innen. Zeigte wohl eine seiner beiden verflossenen Ehefrauen Gefühl, wenn sein Name erwähnt wurde? Oder war er für sie nichts weiter als eine vergessene Episode?
Er könnte sterben wie Billy Blake, dachte er, zusammengekauert in einer Ecke dieser elenden Wohnung, und wenn er Tage später gefunden würde, dann beinahe mit Sicherheit von einem Fremden. Wer würde ihn schon suchen? JP? Lisa? Seine Trinkbrüder?
Du meine Güte! War sein Leben tatsächlich so leer - so wertlos? - wie das Billy Blakes?
Er war früh in der Redaktion, schlug im Telefonbuch und im Londoner Adreßbuch nach, hinterließ am Empfang, daß er später zurücksein würde, holte seinen Wagen und fuhr den Fluß entlang nach Osten zum ehemals geschäftigen Hafen Londons. Wie in so vielen Häfen überall auf der Welt waren die Schiffsflotten und Piers längst Vergnügungsdampfern, teuren Wohnvierteln und Jachthäfen gewichen.
Er fuhr die Westseite der Isle of Dogs hinunter und fand das renovierte Lagerhaus, in dem das Architekturbüro W. R. Meredith seine Räume hatte, fuhr dann weiter zu einem verwahrlosten, mit Brettern vernagelten Gebäude, das bis auf seine rechteckigen Linien und das Giebeldach keinerlei Ähnlichkeit mit seinen Nachbarn hatte. Er brauchte allerdings nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was man aus diesem traurigen Relikt des viktorianischen London machen könnte. Er lebte lang genug in der Hauptstadt, um die Verwandlung der alten Hafenbauten in edle Wohnhäuser miterlebt zu haben, und er brauchte sich nur die umgebauten Lagerhäuser rundherum anzusehen, um sich ins Gedächtnis zu rufen, was machbar war.
Er stellte seinen Wagen ab, nahm eine Taschenlampe und eine Flasche Bell’s Whisky aus dem Handschuhfach und suchte sich durch ein Loch im Zaun seinen Weg zur Vorderseite des Gebäudes. Er prüfte Türen und Fenster, die mit Brettern vernagelt waren, ehe er um die Halle herumging. Ein fünf oder sechs Meter breiter Streifen Gebüsch und Gestrüpp trennte die hintere Mauer vom Fluß, und er zog seinen Mantel fest um sich, als ihm der bitterkalte Wind, der über die Themse pfiff, ins Gesicht peitschte. Wie man sich freiwillig solcher Unbill aussetzen konnte, war ihm schleierhaft, dennoch hockte eine kleine Gruppe Männer, offenbar unempfindlich für Kälte und Feuchtigkeit des Morgens, zusammengedrängt um eine Tonne mit brennendem Holz vor einem offenen Tor in der Mauer des Lagerhauses. Sie musterten ihn argwöhnisch, als er näher kam.
»Hallo«, sagt er und ließ sich, die Flasche zwischen den Füßen, in einer Lücke im Kreis nieder. »Mein Name ist Michael Deacon.« Er zog seine Zigaretten heraus und reichte sie herum. »Ich bin Reporter.«
Einer der Männer, weit jünger als die anderen, lachte kurz und ahmte Deacons kultivierte Sprechweise nach. »Hallo. Mein Name ist A. R. Schloch. Ich bin Penner.« Er nahm eine Zigarette. »Danke. Die heb’ ich mir zum Cocktail vor dem Dinner auf, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Keineswegs, Mr. Schloch. Aber es wäre schade, bis zum Dinner zu warten.«
Der Junge hatte ein mageres, blasses Gesicht und einen kahlgeschorenen Schädel. »Ich heiß’ Terry. Was wollen Sie, Sie Mistkerl?«
Er war wirklich noch sehr jung, dachte Deacon, aber in der aggressiven Haltung seines Kopfes drückte sich die Durchtriebenheit des Straßenjungen aus und in den
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