Das Echo
Fachmann auf diesem Gebiet, der sich auf Gesichter spezialisiert hat. Wir könnten jede beliebige dieser Variationen wählen, aber die Frage ist, ob sie auch nur die geringste Ähnlichkeit mit Ihrem Toten hätte.«
»Es gibt wohl keine Hoffnung, daß JP zu meinem Text das Original bringt?«
Garrety lachte. »Überhaupt keine, und ausnahmsweise muß ich ihm da recht geben. Das würde dem wohlgesonnenen Leser gründlich das Frühstück verderben. Überlegen Sie doch mal. Wer will sich schon zu seinen Corn-flakes einen verschrumpelten alten Säufer angucken, der an Hunger gestorben ist?«
»Er war erst fünfundvierzig«, sagte Deacon milde. »Drei Jahre älter als ich und zehn Jahre jünger als Sie. So besehen ist die Sache gar nicht so komisch, oder?«
Michael Deacons Feature über Armut und Obdachlosigkeit erschien im Street dieser Woche ohne ein Wort über Amanda Powell oder Billy Blake. In der Tat sah das Endprodukt genauso aus, wie es ihm zu Beginn vorgeschwebt hatte: eine nachdenkliche Analyse sich wandelnder sozialer Trends, die sich auf Fragen nach Ursachen und langfristigen Lösungen konzentrierte. JP zweifelte, daß der Artikel die Leser fesseln würde (»Er ist verdammt langweilig, Mike. Wo bleibt der menschliche Aspekt, der die Leute anrührt, Herrgott noch mal?«), aber ohne ein annehmbares Foto von Billy oder Amanda Powell hatte es kaum einen Sinn, die wenig originellen Aussagen von Mrs. Powell über die Obdachlosigkeit im allgemeinen zu bringen. JP wiederholte seine Drohungen, daß er Deacons Vertrag nicht verlängern werde, wenn er nicht endlich einsehe, daß politische Schlammschlachten zum bewährten Repertoire der Zeitschrift gehörten, und Deacon antwortete sarkastisch, nach den Auflagenzahlen zu urteilen ließen die Street -Leser ihre Intelligenz ebensogern beleidigen wie der Rest der Bevölkerung.
Amanda Powell, die ihre Garagenschlüssel und die beiden Fotos von Billy zusammen mit einem anonymen »Überreicht von«-Zettel des Street mit der Post erhalten hatte, war enttäuscht, aber nicht überrascht, als sie feststellte, daß sie und Billy in Deacons Artikel nicht erwähnt wurden. Doch sie las ihn mit Interesse, besonders die Passage mit der Beschreibung eines ausrangierten alten Lagerhauses und seiner Gemeinschaft geistesgestörter Bewohner, die von einer Handvoll alter Männer und einem Jugendlichen betreut wurden. In ihrem Blick stand Erleichterung, als sie die Zeitschrift aus der Hand legte.
5
Einige Nachforschungen an einem ruhigen Nachmittag förderten die Namen und Adressen von den Eltern und dem Bruder James Streeters zutage sowie einige phantasievolle - und bewußt verleumderische? - Presseerklärungen der Vereinigung der Freunde James Streeters, die als Sitz die Adresse des Bruders in Edinburgh angaben. Die letzte Erklärung war vom August 1991.
Trotz zwölfmonatiger intensiver Bemühungen seitens der Vereinigung der Freunde James Streeters ist nicht eine einzige Zeitung den Behauptungen der Vereinigung nachgegangen, daß James in der Nacht zum Freitag, dem 27. April 1990, ermordet wurde, weil ein Aufsichtsratsmitglied der Lowenstein-Bank gedeckt und die Bank vor dem katastrophalen Zusammenbruch bewahrt werden sollte, der die unvermeidliche Folge des Verlusts an Vertrauen in die Unternehmensleitung gewesen wäre.
IM INTERESSE DER GERECHTIGKEIT MÜSSEN FOLGENDE FAKTEN UNTERSUCHT WERDEN:
• James Streeter verfügte nicht über das Fachwissen, um den Betrug zu bewerkstelligen, dessen er beschuldigt wird. Es wird behauptet, er hätte sich seine Computerkenntnisse während seiner Auslandsaufenthalte in Frankreich und Belgien angeeignet. Die VFJS hat Zeugnisse seiner früheren Arbeitgeber und seiner ersten Ehefrau gesammelt, aus denen hervorgeht, daß das nicht zutrifft (siehe Anlagen).
• James Streeter hatte keine Möglichkeit, sich vorzeitig über den Fortschritt der hausinternen Untersuchung der Lowenstein-Bank oder über Aufsichtsratsbeschlüsse zu informieren; er kann daher den »idealen« Tag, außer Landes zu gehen, gar nicht gewußt haben. Die VFJS hat entsprechende Zeugenaussagen seiner Sekretärin und Angehöriger seiner Abteilung (siehe Anlagen).
• James Streeter machte in den sechs Monaten vor seinem Verschwinden Freunden und Kollegen gegenüber Andeutungen über die Inkompetenz Nigel de Vriess’, seines Bereichsleiters, der 1990 Mitglied des Aufsichtsrats des Bankhauses Lowenstein war und inzwischen das Unternehmen verlassen hat. Die VFJS hat drei
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