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Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Negativ zu machen?«
    »Im Moment habe ich zu tun.« Barry schob die Papiere auf seinem Schreibtisch hin und her, als wäre das ein Beweis.
    Deacon nickte. »Kein Problem. Ich frag’ Lisa. Sie kann’s mir wahrscheinlich machen.«
    Nachdem er gegangen war, zog Barry sein eigenes Foto von James Streeter aus der obersten Schublade. Wenn Deacon dieses Bild gesehen hätte, dachte er, hätte es kein Halten gegeben. Die Ähnlichkeit mit Billy Blake war auffallend.
     
    Aus reiner Neugier rief Deacon bei der Lowndes Building and Development Corporation an und bat um Verbindung mit jemandem, der über ein Bauvorhaben in Teddington im Jahr 1992, bei dem eine alte Schule an der Themse in Wohnungen umgewandelt worden war, Bescheid wisse. Eine Sekretärin gab ihm eine Adresse der Wohnanlage, sagte jedoch, es sei niemand da, der mit ihm über das Projekt sprechen könne. »Um ehrlich zu sein«, erklärte sie leicht nervös, »ich glaube, Mr. Merton hat das Projekt betreut, aber er ist vor zwei Jahren entlassen worden.«
    »Warum denn das?«
    »Ich weiß nicht genau. Irgend jemand hat gesagt, er hätte Kokain genommen.«
    »Und Sie haben keine Ahnung, wo ich ihn erreichen könnte?«
    »Er ist ausgewandert, soviel ich weiß, aber ich glaube nicht, daß wir seine Adresse haben.«
    Deacon schrieb sich den Namen Merton auf. Gleich nach Weihnachten würde er sich Nigel de Vriess und diesen Merton vornehmen.
    Es war der 21. Dezember. Deacon war in eine langsam dahinkriechende Endlosschlange von Autos eingekeilt, und je näher die obligate Weihnachtsfeier kam, desto finsterer wurde seine Stimmung. Er haßte Weihnachten. Es war der letzte Beweis dafür, daß sein Leben total leer war.
    Am Nachmittag hatte er eine Prostituierte interviewt, die behauptete, als »Rechercheurin« getarnt, regelmäßig im Parlamentsgebäude ein und aus gegangen zu sein, um den Abgeordneten bezahlte Liebesdienste zu leisten. Guter Gott! Und das sollte was Neues sein? Er verachtete die britische Gier nach schlüpfrigen Geschichten, die mehr über die unterdrückte Sexualität des Durchschnittsbürgers aussagte als über die Männer und Frauen, deren sexuelle Eskapaden in den Zeitungen breitgetreten wurden. Im übrigen war er sicher, daß die Frau log (wenn nicht hinsichtlich der »Sitzungen« mit den Abgeordneten, dann jedenfalls bezüglich der regelmäßigen Besuche); sie hatte viel zuwenig über die Raumaufteilung in dem Gebäude gewußt. Genauso sicher war er, daß JP, der zu der alten Garde derer gehörte, deren Schlachtruf lautete: »Laßt euch eine gute Story bloß nicht von den Fakten verderben«, ihn wochenlang diesen erbärmlichen Schmutzlügen nachjagen lassen würde, weil er hoffte, es wäre etwas Wahres daran. Ach Gott, war das wirklich alles?
    Er schrieb seine Depressionen jahreszeitlich bedingter Störung zu, weil er der Alternative ererbten Wahnsinns nicht ins Gesicht sehen wollte. Alles, was in seinem Leben je schiefgegangen war, hatte sich im Dezember ereignet. Das konnte kein Zufall sein. Sein Vater war im Dezember gestorben; seine beiden Ehefrauen hatten ihn im Dezember verlassen; im Dezember hatte man ihm beim Independent gekündigt. Und warum? Weil er in der Weihnachtszeit die Finger nicht vom Alkohol lassen konnte und seinem Redakteur bei einer Meinungsverschiedenheit über einen Artikel eins auf die Nase gegeben hatte. (Wenn er nicht achtgab, würde er JP aus dem gleichen Grund eins auf die Nase geben.) Im Sommer war er objektiv genug, um zu erkennen, daß er in einem circulus vitiosus gefangen war - zu Weihnachten ging alles schief, weil er trank, und er trank, weil alles schiefging -, aber Objektivität war immer dann Mangelware, wenn er sie am meisten brauchte.
    Er scherte aus der verstopften Straße aus, um den Weg am Palast vorbei zu nehmen. Der bitterkalte Ostwind der letzten Tage hatte Graupelschauer gebracht, aber jenseits der Windschutzscheibe, über die mit metronomischem Ticken die Scheibenwischer fegten, zeigte sich London in Feststimmung. Überall waren Zeichen zu sehen - die strahlend erleuchtete Tanne, die alljährlich um diese Zeit Nelsons Säule auf dem Trafalgar Square in den Schatten stellte; die bunten Lichter, die Geschäfte und Bürogebäude schmückten; die Menschenmengen, die sich auf den Straßen drängten. Er beobachtete dies alles mit mißmutigem Blick und dachte an das, was auf ihn wartete, wenn die Redaktion über Weihnachten ihre Türen schloß.
    Tage des Wartens, daß der verdammte Laden wieder aufmachen

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