Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
2697 – männlich
Familienname: unbekannt
Vorname: unbekannt
Angenommenes Gebrtsdatum: 20. 4. 1943
Fundort: im April 1945 schwerverletzt beim Forsthaus Kleinhammer bei Königswusterhausen
Bekleidung: nicht bekannt
Personenbeschreibung: blaue Augen, dunkelblondes Haar. Muttermal am Rücken.
*
Der Frühling
Der Mensch vergißt die Sorgen aus dem Geiste,
Der Frühling aber blüh’t, und prächtig ist das Meiste, Das grüne Feld ist herrlich ausgebreitet
Da glänzend schön der Bach hinuntergleitet.
Die Berge stehn bedeket mit den Bäumen,
Und herrlich ist die Luft in offnen Räumen,
Das weite Thal ist in der Welt gedehnet
Und Thurm und Haus an Hügeln angelehnet.
Mit Unterthänigkeit
Scardanelli.
Friedrich Hölderlin
<2069 Tage
Montag, 30. April 1945
8 Tage>
Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Wohl dem, der auf ihn trauet!
herrnhut
ps. 34,9
Die ofen heizen
Dee aiefen hitesen
Light the stoves
stars and stripes,
daily german lesson
Adolf Hitler 1889–1945
Berlin/Führerbunker
Funkspruch an Alfred Jodl
1. Wo Spitze Wenck?
2. Wann tritt er an?
3. Wo 9. Armee?
4. Wo Gruppe Holste?
5. Wann tritt er an?
gez. Adolf Hitler
Aus dem Wehrmachtbericht
Das heroische Ringen um das Zentrum der Reichshauptstadt hält mit unverminderter Heftigkeit an. In erbitterten Häuser- und Straßenkämpfen halten Truppen aller Wehrmachtteile, Hitlerjugend und Volkssturm den Stadtkern. Ein leuchtendes Sinnbild deutschen Heldentums.
Der am Anhalter Bahnhof, entlang der Potsdamer Straße und in Schöneberg eingebrochene Feind wurde von den tapferen Verteidigern zum Stehen gebracht. Fliegende Verbände warfen unter aufopferungsvollem Einsatz der Besatzung erneut Munition über der Stadt ab.
Klaus Mann 1906–1949
Rom
Arbeite immer noch an dem Artikel und warte auf die Marschbefehle, um nach Deutschland aufzubrechen. Abend mit Hans Brinitzer, aus Caserta hier.
Rolf Hädrich 1931–2000
Hermsdorf/Thüringen
Heute gab es Magermilch.
*
Der SS-Standartenführer
Dr. Ernst Günther Schenck 1904–1998
Berlin/Führerbunker
Nachts – 12 Stunden vor dem Selbstmord Hitlers: [...] Wir mochten einige Minuten gewartet haben, da trat Hitler alleine aus der Tür, die seinen Wohnbunker abschloß, und begrüßte uns mit den Worten «Entschuldigt, daß ich Euch noch so spät herausgetrommelt habe». Haase meldete, und ich salutierte. [...]
In solcher Nähe hatte ich Hitler bisher nicht gegenübergestanden; dieser Mann war nicht einmal ein Hauch dessen, den Millionen Bilder gezeigt hatten. Wohl trug er einen grauen Rock mit dem goldgestickten Hoheitszeichen und dem Eisernen Kreuz an der linken Brustseite, auch die lange schwarze Hose; aber der Mensch, der in diesem Tuch steckte, war unvorstellbar tief in sich selbst zurückgefallen. Ich sah hinab auf einen gekrümmten Rücken mit sich abhebenden Schulterblättern, aus dem er den Kopf fast gequält hob, als er Haase anblickte. Ein Gebirge lag auf ihm und machte, daß er mit Mühe zwei Stufen weiterstieg. Das Auge, das er auf mich richtete, starrte schmerzhaft. Es schaute nicht mehr strahlend, das Weiße war getrübt, keine Miene bewegte sich in einem Gesicht, in welchem Augensäcke beherrschend und entlarvend von entflohenem Schlaf zeugten. Tief eingegraben liefen Falten von Nasenflügeln zu Mundwinkeln. Der Mund blieb geschlossen, die Lippen aufeinandergepreßt. Die Bewegung, mit der er meine Hand forderte und sie drückte, war Reflex. [...]
Fast tonlos sagte er, er wolle uns danken, daß wir uns der Verwundeten angenommen hätten. Er stieg auf die Stufe, auf der auch ich stand. Zentimeternahe vor mir Mondlandschaft seines zerstörten Gesichtes in fahlem Gelbgrau. Ein Händedruck für Schwester Erna und ein marionettenhafter weiterer Schritt aufwärts zur zweiten Schwester. Wir hatten geschwiegen, aber sie begann, erregt und aufgewühlt, gehetzt und hysterisch übersteigert zu repetieren, was sie tausendmal gehört hatte: «Mein Führer – Glaube an den Endsieg Feinde schließlich vernichten – ein Volk, ein Reich – ewige Treue wir folgen – Heil.» Hitler stand vor ihr, blickte auf das agierende Geschöpf. Haase, der sich dicht hinter ihm gehalten hatte, griff nach ihrem Arm. Sie brach weinend, fast schreiend ab. [...] Mir erschien der Ausbruch ungemäß, Hitler aber hatte er auf das gestoßen,was sich in ihm noch regte. Er sagte dumpf, ohne das Wort an jemanden zu richten: «Man soll sich seinem Schicksal nicht feige entziehen wollen»,
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