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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Zeit, meine Arbeitskraft und meine Gesundheit in diesen drei Jahrzehnten verbraucht.
    *
    Der Generalmajor
    Wilhelm Mohnke *1911
Berlin/Führerbunker
    Morgens 7 Uhr
    Ich trat mit meinen Unterlagen in sein Schlafzimmer. Er saß auf einem Stuhl neben dem Bett. Über dem Pyjama trug er einen schwarzseidenen Morgenmantel; die Füße steckten in schwarzen Lackpantoffeln. [...] Der Mann wirkte auf mich sehr gesammelt und gut ausgeschlafen – was er natürlich nicht war. Gewiß, die linksseitigen Gliedmaßen zitterten. [...]
    Nun, mir stellte Hitler präzise Fragen. Die erste war: «Mohnke, wie lange können Sie noch halten?» Ich antwortete: «24 Stunden, mein Führer, nicht länger.» Dann schilderte ich ihm die Lage. Die Russen hatten die Wilhelmstraße erreicht, sie waren in die U-Bahnschächte unter der Friedrichstraße und sogar unter der Voßstraße eingedrungen, der größte Teil des Tiergartens war in ihrer Hand, und sie kämpften am Potsdamer Platz, 300 Meter von uns entfernt. Hitler hörte sich das ruhig und konzentriert an. [...]
    Nun, nachdem wir die militärischen Dinge besprochen hatten, begann er mit mir über Politik zu reden. Wahrscheinlich war es der letzte seiner zahlreichen Monologe. Der Grundgedanke, den er mir an diesem Morgen entwickelte, war: Die westlichen Demokratien seien dekadent und würden sich den jungen, unverbrauchten Völkern des Ostens, für die eine straffe Führung wie im kommunistischen System genau dasRichtige sei, nicht gewachsen zeigen. Der Westen werde unterliegen. Der Ton, in dem er sich über diese These verbreitete, war gelassen und distanziert. Kurz nach 7 Uhr verließ ich ihn wieder und kehrte auf meinen Gefechtsstand zurück.
    Ein Telefonist
Berlin/Führerbunker
    Er wirkte gebrochen, ausgebrannt, verloren. Uns war längst klar, daß er keine andere Wahl hatte, als sich umzubringen, und man wartete schon seit der stürmischen Konferenz vom 22. April mit einem Gefühl nervöser Spannung auf den Schuß, mit dem Hitler die Konsequenzen ziehen würde. In der Stille dieses Morgens – nur das leise Surren der Ventilatoren war zu hören – empfand ich sein sinnendes Schweigen als besonders bedrückend, ja, unheimlich; ich zog mich schnell in die kleine Telefonzentrale neben dem Maschinenraum zurück.
    Der Adjutant
    Otto Günsche 1917–2003
Berlin/Führerbunker
    Ich begrüßte ihn; er war völlig ruhig und seine Stimme hatte den gewohnten Klang, als er mir sagte: «Ich möchte nicht, daß meine Leiche von den Russen in einem Panoptikum ausgestellt wird. Günsche, ich verpflichte Sie noch einmal ausdrücklich, unter allen Umständen dafür zu sorgen, daß so etwas nicht geschehen kann.»
    *
    Der US-Offizier
    Edward Perry Morton 1894–1954
Palermo
    Ich bin gerade von einem Besuch in Catania und Taormina zurückgekehrt. Catania ist ein Hafenort und eine überraschend schöne Stadt am Fuße des Ätna. Sie wurde auf den Ruinen eines Amphitheaters, das wie das Colosseum in Rom ausgesehen haben muß, erbaut. Aber Taormina war es, das mich für die vier- oder fünfstündige Fahrt dorthin belohnte, denn Taormina ist einer der reizendsten Erholungsorte in der Welt. Er ist ein verbessertes Modell von Laguna Beach und Carmel mit einem beachtenswerten griechisch-römischen Amphitheater mittendrin. Eine malerische Seeküste, reich an sowohl historischen Sehenswürdigkeiten als auch an Naturschönheiten, dehnt sich nach Norden und Süden aus und bietet mit Badia, Vecchia und Taormina einen der schönsten romantischen Anblicke der Welt. Der Zustand der schwarzen Lava vom Ätna in äußerst kunstvoller Ausführung ist großartig.
    Paul Valéry 1871 –1945
Paris
    Was ist denn widerlicher als das Ende Mussolinis? Alles ist gemein an dieser Sache: er und seine Mörder. Seine Schwäche angesichts des Todes, das Bespucken des Leichnams, das Ausstellen.
    Mailand – Was für Scheußlichkeiten!
    *
    Der britische Sergeant Martin Hauser *1913
(Italien)
    Mussolini ist in Mailand von Partisanen, die ihn auf seiner Flucht am Lago di Como erkannt und verhaftet hatten, nach kurzem Verhör erschossen worden. So starb der Gründer des Faschismus – «Il Duce» – als Verräter in den Rücken geschossen auf dem Hauptplatz von Mailand an der Stelle, wo wenige Zeit vorher noch Antifaschisten ermordet worden waren.
    Der sowjetische Feldchirurg
    Alexander Wischnewski
Ussurisk
    Es sind Berichte eingetroffen, daß Mussolini und einige seiner Minister in Mailand von italienischen Patrioten hingerichtet wurden. Der

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