Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
und wandte sich.
An Haase vorbei, dem er winkte, ihn zu begleiten, stieg er langsam die wenigen Stufen der Wendeltreppe hinab. Eine Ordonnanz öffnete die Tür zu seinen Räumen und schloß sie, als die zwei Männer hindurchgetreten waren.
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Fritz Hochwälder 1911–1986
Zürich
An Georg Kaiser
Verehrter, lieber Herr Kaiser,
ich habe von mir nichts hören lassen, weil ich bis jetzt noch keine Möglichkeit gesehen habe, zu Ihnen nach Ascona zu kommen. Da ich aber ab 14. Mai für 6 Wochen Arbeitsdienst machen muss, möchte ich Sie vorher noch gerne sprechen – wenn ich das darf. [...]
Ihr Floss der Medusa habe ich hier gesehen – Die Vorstellung war leider unzulänglich. Das Stück wird die Jahrzehnte überdauern, wenn aller Schmarren, der heute mit Sorgfalt und Aufwand einstudiert wird, längst vergessen ist.
Es ist merkwürdig, wie gleichgültig ich die Tages-Ereignisse aufnehme, auf die ich 12 Jahre lang gewartet habe. [...]
Mit herzlichen Grüssen
Ihr Fritz Hochwälder
Oskar Kokoschka 1886–1980
Dartington
An Josef P. Hodin
Lieber Hodinus, danke für Ihren Artikel, auf den ich nicht schimpfen will, sobald Sie die zarten Federstriche mit aufnehmen, die ich zur Verdeutlichung der Sache hinzugefügt habe.
Politische Bilder in England malen, heißt nicht lediglich, auf die Nazi in Deutschland zu schimpfen. Das träfe ein jeder, der sich hier in Sicherheit weiß. Man muß vielmehr den Leuten hier sagen, daß der Unterschied zwischen Nazi und Demokratie ja gar nicht oder nicht nur in der insulären Einbildung besteht. Ich weiß, es gibt die berühmten «degrees in which we differ». Aber erstens ist der Faschismus noch nicht tot, und dann können die Unterschiede mit der Zeit noch undeutlicher werden. Wir sind die ganze Zeit bemüht, diesen Prozeß zu verfolgen. Unser Führer Churchill hilft.
Also, wenn noch Zeit dazu ist, nehmen Sie, bitte, meine leisen Einflüsterungen in Ihr Opus auf und zeigen Sie damit Ihren Schweizer und Schwedischen Freunden, daß ich kein «Flüchtling», sondern ein Mensch im Vollbesitz der kritischen Fähigkeiten bin. Ihnen gute Erholung und noch weiteren Weltuntergang
Ihr O Kokoschka
Richard Strauss 1864–1949
Garmisch
Am 30. April wurde Garmisch von amerikanischen Truppen besetzt. Nachdem ein Major mein Haus als von der Einquartierung frei deklariert hatte, kam um 11 Uhr ein Major Kramers, der meinem Sohn befahl, ohne auf eine Erwiderung zu hören, daß wir innerhalb von 15 Minuten das Haus zu räumen hätten mit der kranken Mutter, Richard [der Enkel] wollte mich nicht hinauslassen, um mich nicht aufzuregen, ich ging aber an das Auto, sagte dem jungen Major nur meinen Namen als Komponist des «Rosenkavaliers» und «Salome», worauf er sofort artig wurde und mir die Hand gab und nach 2 Minuten war alles in Ordnung. (...) Ich habe jedem mein Bild geschenkt und schließlich den Rosenkavalierwalzer gespielt: kurz: Abwehrerfolg durch den Geist!
*
Der Angestellte Joseph Lewis *1907
Birmingham
Die Ereignisse in Deutschland überschlagen sich, und wenn man den Zeitungen trauen kann, besonders denen an diesen Abenden, dann hat Himmler sich für die bedingungslose Kapitulation an die Briten, Amerikaner und Russen entschieden, und wenn alles gutgeht, wird dieses die Friedenswoche sein.
John Colville 1915–1987
London
Die Zeitungen sind voll von Meldungen wie «Der Sieg steht unmittelbar bevor». Das hoffen wir alle. Aber die Erwartungen sind diesmal gedämpft. Ich bezweifle, daß es den gleichen Jubel und die gleichen Illusionen wie 1918 geben wird.
Harold Nicolson 1886–1968
London
Während der Nacht hat es wieder sehr stark geschneit, und der Flieder ist mit großen Schneewölkchen bedeckt, was sehr putzig aussieht. Es ist ganz offensichtlich, daß wir ein Kapitulationsangebot von Himmler annehmen werden und daß es jeden Moment kommen kann.
In der Zwischenzeit wurde die Nachricht von der Ermordung Mussolinis bestätigt. Er wurde in der Nähe von Como gefangengenommen und umgebracht.
Adolf Hitler 1889–1945
Berlin/Führerbunker
Politisches Testament
Seit ich 1914 als Freiwilliger meine bescheidene Kraft im ersten, dem Reich aufgezwungenen Weltkrieg einsetzte, sind nunmehr über dreissig Jahre vergangen.
In diesen drei Jahrzehnten haben mich bei all meinem Denken, Handeln und Leben nur die Liebe und Treue zu meinem Volk bewegt. Sie gaben mir die Kraft, schwerste Entschlüsse zu fassen, wie sie bisher noch keinem Sterblichen gestellt worden sind. Ich habe meine
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