Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Überprüfung meiner Personalien. Die Fahrt ging über Safford, durch eine herrliche Gebirgslandschaft in Richtung Globe, über die Staumauer des Coolidge Damm an großen Flächen mit Kakteen vorbei ins Hauptlager Florence. Dort wurde ich in die Hauptverwaltung zu einem gut Deutsch sprechenden amerikanischen Feldwebel geführt. Bei ihm mußte ich meine Personalien angeben, die er mit der Schreibmaschine auf ein Formular tippte. Zu den Fragen der Truppengattung verschwieg ich, daß ich bei der Waffen-SS gewesen war. Als er alles geschrieben hatte, holte er das gleiche Formular aus der Schublade, welches schon in Frankreich kurz nach der Gefangennahme ausgefüllt wurde, hervor. Auf diesem Formular waren die Angaben über meine Zugehörigkeit zur Waffen-SS, Nazi- und Eliteeinheit. Nach Einsicht in das Formular warf er es in den Papierkorb. Eine große Erleichterung für mich, die ihm wohl bei meinem Danke und Abschied nicht verborgen geblieben ist.
Dr. Hans-Georg von Wick 1907–1964
Kriegsgefangenenlager
Crossville, Tennessee
An seine Frau
Mein Herz! Immer, immer fliegen meine Gedanken zu Dir in banger Sorge! Wo sollen sie Dich suchen? In unserm lieben Verden, das nun auch Kampfgebiet geworden ist? Ob Du dort bleiben konntest in den Tagen, da die Front durch Verden lief und dort gekämpft wurde? Und was magst Du mit unsern beiden Kleinen ausgestanden haben! GebeGott, daß Ihr beschützt und bewahrt bleibt und gesund seid! Das ist mein heißestes Gebet. Ich kann Dir nicht sagen, mit welchen Gefühlen der Angst und Besorgnis ich besonders diese Tage an Euch gedacht habe. Da sitze ich nun hier in Ruhe und Sicherheit, mit gebundenen Händen, und Ihr, meine Liebsten, müßt so Schweres durchmachen! Was mag aus unserer Wohnung geworden sein? Wenn Ihr wenigstens noch ein Heim besitzt! Sonst ist ja der Verlust an materiellen Gütern so gleichgültig, wenn Ihr nur unverletzt bliebt und wir uns eines Tages gesund wiedersehen und zusammen das Leben wieder beginnen können. Könnte ich nur einmal wissen, wie es um Dich steht, mein einziger Liebling, meine geliebte tapfere Frau!
Immer wieder male ich mir Euer Schicksal aus und sinne auf neue Möglichkeiten, verzweifelt, daß ich nicht helfen und Dir nicht beistehen kann.
Mein Liebling, wenn nur Du mit den Kindern gesund bist und alles wohl überstehst! An diese Hoffnung klammere ich mich. In großer Liebe!
Walter D. *1921
Kriegsgefangenenlager Maxey/ Texas
In Torgau sind Amerikaner und Russen zusammengestoßen. Mussolini ist ermordet. Himmler soll ein Übergabeangebot an Amerika und England gemacht haben, Rußland setzte eine neue Regierung in Wien ein. England und Amerika erkennen diese Regierung nicht an. Der russische Außenminister Molotow wird von der Konferenz in San Franzisco abberufen.
So liegen die Dinge in den letzten Tagen des Monats April. Deutschland hat den Krieg verloren. Diese Worte sind unsagbar schwer zu schreiben. Aber es ist die Wahrheit. Wir haben verloren.
Die Sekretärin Ethel Inglis *1908
Glasgow
Es gibt verbitterte Bemerkungen darüber, daß die deutschen Kriegsgefangenen doppelt so große Verpflegungsrationen bekommen wie unsere Zivilbevölkerung. Sie bekommen die gleichen Rationen wie die britischen Truppen. Die Amerikaner werden immer dafür gelobt, daß sie wissen, wie man mit der deutschen Zivilbevölkerung umgeht. Wir bezahlen für das, was wir ihnen wegnehmen, während die Amerikaner dieses und jenes einfach verlangen.
«Wir sind zu weich.»
*
Der Leutnant Rudolf Palitza
Onigo
Der 30. April war noch ein qualvoller Marschtag mit allen Anzeichen der Flucht, nach dem Motto: Rette sich, wer kann! Infanteristen hatten es da noch leicht, weil sie querfeldein im Schutz von Weinfeldern und Bäumen vorankamen. Alle bespannten und motorisierten Fahrzeuge waren den pausenlosen Jabo-Angriffen ausgesetzt, entsprechend hoch waren die Verluste.
Ich war, aller Aufträge ledig, auf mich allein gestellt und hatte viel Zeit, aus einer Entfernung von 200 Metern das Zurückfluten der Reste einer geschlagenen Armee zu beobachten. Zum Glück verhinderte eine tiefliegende Wolkendecke die Angriffe der Jabos. Alles drängte auf der engen Straße nach Norden, sogar noch motorisierte Fahrzeuge und Geschütze, vor allem aber ungeordnete Haufen von Landsern, viele per Rad und einzelne zu Pferde. Als die Kolonne dünner wurde, schloß ich mich an und kam gegen Abend in Onigo an, wo uns freundliche Bewohner sogar ein Nachtquartier anboten. Es lag im 1. Stock, so
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