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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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kamen.
    *
    Helmut Smend 1894–1984
Kriegsgefangenenlager Remagen
    Wir Offiziere vom Stab blieben natürlich zusammen, zogen durch die Gassen zwischen den Menschenmassen, bis wir am Rande noch ein freies Plätzchen fanden, wo wir uns niederlassen konnten. An Hoffnungslosigkeit war diese Situation nicht mehr zu überbieten. Bei der Kälte im April ohne jeden Schutz, undenkbar! Da konnte man nun wirklich verzagen. Und dann fing es auch noch an zu regnen.
    Ringsum am Stacheldraht entlang zog sich ein breiter Streifen, wo jeder seine Notdurft verrichtete. Und dieser Streifen kam mit jedem Tag näher an die Lagerinsassen heran. Wie kam mir nun meine neue Kluft, vor allem der neue Mannschaftsmantel, zustatten. Die andern hatten ihre eigenen Uniformen an, die viel weniger widerstandsfähig waren, dazu die langen Stiefel aus dünnem Leder, die sofort aufgeweicht waren.
    Nun, ich war ja nicht so leicht unterzukriegen. Solange es regnete, auch die ganze Nacht, blieb ich auf einem Fleck stehen und wurde so am wenigsten, nur oben, naß. Aber da wird eine solche Nacht lang!
    Hier blieben wir zwei Wochen, glücklicherweise wurde das Wetter besser, wenigstens trocken, sonst wären wir wohl alle draufgegangen. Wir lagen den ganzen Tag und auch die Nacht auf dem blanken Ackerboden herum. Viele hatten die Ruhr. Überall sah man Soldaten in Zivil, die sie auf den Landstraßen aufgegriffen hatten, tot in Wasserpfützen liegen. Verpflegung gab es kaum, am Lagertor wurde etwas Brot ausgegeben, aber der Weg dahin war weit durch die Menschenmassen. Die Kameraden, welche die Verpflegung holten, hatten Mühe, uns wiederzufinden, da es in dem Menschengewimmel keinerlei Orientierungspunkte gab. Man kann den Amis nicht einmal Vorwürfe machen, sie wußteneinfach nicht, wohin mit den anfallenden Menschenmassen. Und die Soldaten einfach nach Hause zu schicken, trauten sie sich auch wieder nicht.
    Philipp Schasset †1983
Kriegsgefangenenlager Remagen
    An dem 70 m entfernten Lagerzaun standen unsere Landser und tauschten mit den Amis Uhren, Ringe, Orden, Abzeichen gegen Zigaretten, Biskuits und Konserven. Hunger und Not senkten die Preise, und für 20 Zigaretten wechselten gute Uhren ihren Besitzer, für einen goldenen Trauring wurden nur 3–5 Zigaretten gegeben, für einen Füllhalter nur einige Biskuits. Wer wollte die Kameraden tadeln, die vielleicht ohne Mantel, Decke, Zeltbahn frierend die vielen Tag- und Nachtstunden verbringen mußten in Kälte, Matsch und Regen, oft tagelang nicht trocken wurden und nun in aller Not zum Letzten griffen, um sich fühlbar neuen Lebensmut verschaffen zu können!
    Die Tage kriechen langsam dahin. Um uns herum in den Krankenrevieren sterben so viele vor Entkräftung, namentlich junge Menschen, und alle die anderen in den Spezialabzäunungen mit den Aufschriften «Ruhr» oder «Fleckfieber». Auch sie liegen hier alle nur auf dem bloßen Lehmboden in großen Krankenzelten. Trostlos sind die Verhältnisse an den Abortgräben, ein unbeschreibliches Elend. Wie vielen guckt der Tod aus den Augen!
    An einem Stacheldrahtkoller muß ein etwa 25jähriger Unteroffizier gelitten haben. Als ich gerade wieder die Tauschmanipulationen am Lagerzaun beobachtete, bemerkte ich, wie dieser junge Mann zuerst durch den inneren Zaun stieg und alsbald auch durch den äußeren gelangte und nun anfing, auf die kleine Brücke zuzulaufen. Doch längst hatten die amerikanischen Posten den schnell laufenden Mann bemerkt, und sie nahmen ihn nun unter Feuer. Erregt riefen wir ihm noch zu zurückzukommen, doch er hörte nicht, wurde bald getroffen und fiel tot nieder. Die Amis waren sehr lustig bei dieser Schießerei und verschwendeten offenbar keinen Gedanken daran, daß sie an einer perfekten Tragödie sehr aktiv beteiligt waren, denn, statt zu schießen, hätten 4 oder 5 Mann den Fliehenden auch greifen können. Unbedenklich schossen die amerikanischen Posten in der Dunkelheit auch ins Lager hinein, wenn eine Gruppe sich an einem offenen Feuer noch etwas kochte, weil die Verpflegung erst spät empfangen wurde.
    Gerhard von Rad 1901–1971
Kriegsgefangenenlager
    Bad Kreuznach
    Wir hatten schon lange gesehen, daß das Lager laufend weiter vergrößert wurde; so weit das Auge reichte, waren Pfähle eingerammt und Stacheldraht gezogen worden, und eines Tages wurde unser ganzes Lagergeviert geräumt. Man kann sich denken, was das für ein Umstand war, bis die 80–1 00 000 Mann auf die höher gelegenen Camps verteilt waren; ein ganzer Tag ging

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