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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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darüber hin. In dem neuen Lager war nun vieles anders. Wir waren darin nur 10000 Mann, und diese Zahl war in lauter Hundertschaften (Züge) gegliedert, von denen immer zehn Mann (eine Gruppe) in einer Reihe nebeneinander angesiedelt waren. Diese Ordnung war wohltätig. Nun hatte man seinen bestimmten Kreis von Nachbarn, man hatte ferner einen Gruppenführer und einen Zugführer. So war das entsetzlich Chaotische einigermaßen gebändigt.
    Ich ging in dieser Zeit mit Anton Schlotter zusammen, einem gutmütigen, einsilbigen württembergischen Bierbrauer und Landwirt. Als erstes machten wir uns jetzt an das Graben eines richtigen Erdloches. Zum Schaben hatten wir nur den Deckel einer Konservendose; so ging die Arbeit langsam vorwärts; ja eigentlich fertig waren wir nie damit, denn immer konnten neue Vervollkommnungen angebracht werden. Das Loch selbst war ungefähr ein Meter tief und ein Meter breit und hatte nach einer Seite hin zum Ausstrecken der Füße eine tunnelartige Vertiefung. Die Enge war sehr groß. Wir konnten zu zweit nur in einer ganz bestimmten Lage dicht aneinander gepreßt liegen; wollte der eine sich umdrehen, so mußte er den anderen wecken, damit der die Wendung mitvollziehe. Immerhin waren wir damit des unleidlichen Frierens ledig. Wenn wir drinnen lagen und von drinnen ein Stück Pappe über das Loch gezogen hatten, so konnte es ganz warm werden. Freilich gegen richtigen Regen half dieses Dach nicht. Da der Lehmboden nichts aufsaugte, lief das Wasser von allen Seiten in unsere Löcher.
    *
    Erich Kästner 1899–1974
Mayrhofen
    Vorarlberg sei bereits besetzt, und der Feind nähere sich Innsbruck! Wenn das zutrifft, läuft ihm unsere Italienarmee, soweit sie den Brenner benutzt, geradenwegs in die Arme. Steiners machen sich der Tochter wegen Sorge. Viktl ist im Stubaital, wo ihr Bräutigam, einarmig, im Lazarett liegt. Die Eltern befürchten, sie könne mitten in den womöglich blutigen Trubel am Brenner geraten.
    Neulich ist jemand, irgendwo im Gebirge, den Insassen eines Versehrtenlazaretts begegnet, das wegen Feindannäherung fluchtartig geräumt und verlagert wurde. Die einbeinigen Soldaten stelzten, auf Krücken und «zu Fuß», im Gänsemarsch die Landstraße entlang. Lastwagen hätte es zur Not gegeben, aber kein Benzin. Zwanzig Kilometer mußten die Helden humpeln!
    Versehrtenlazarett, Ohnhänder, Feindannäherung, Frontbegradigung – die Betulichkeit und das Zartgefühl des neudeutschen, treudeutschen Vokabelschatzes wird die Philologen bald beschäftigen. Das Kapitel «Euphemismus» darf nicht zu kurz kommen. Der Wolf in Grimms Märchen fraß Kreide, bevor er die sieben Geißlein fraß. Die Sprachgeologen werden, unter anderem, die jüngste Kreidezeit zu erforschen haben.
    Heute früh mußten die Schüler der in Straß hausenden Lehrerbildungsanstalt den Gasthof räumen. Der Wirt und die neuen Mieter hatten es eilig. Die neuen Mieter? Eine Gruppe Generalstäbler. Überall suchen sich jetzt solche Regimentsstäbe ohne Regimenter und Divisionsstäbe ohne Divisionen einen malerischen Schlupfwinkel. Sie sind arbeitslos geworden, beschlagnahmen abgelegene Quartiere, schlafen sich aus, atmen Bergluft, bringen die Chronik ihrer Truppe à jour, vernichten zweideutige Unterlagen, besprechen die Lage, koordinieren künftige Antworten auf peinliche Fragen und lassen, während sie auf die Gefangennahme warten, in der Küche von einem Offiziersburschen die weiße Fahne bügeln. Es war ein stummer Tag. Nicht nur der Münchner Sender hielt den Mund. Auch die ausländischen Stationen schwiegen sich aus. Was hatte ihnen, in den verschiedensten Sprachen, die Sprache verschlagen? Sendeten sie die Reden auf einem internationalen Trappistenkongreß? Lügen im Funk, die gröbsten und die feinsten, kann man interpretieren, das große Schweigen gibt Rätsel auf.
    Ruth Storm 1905 –1993
Schreiberhau
    Die letzten Wochen waren voll Harmonie. Mein Mann konnte dableiben. In unserem Stall steht aus der Zucht von Paula Busch aus Mühlatschütz das Bosniakenpferd «Minka» mit dem Stutfohlen «Buschy». Durch Kreuzung mit Haflingern wollte ich ein zähes und genügsames Bergpony züchten. Nun ist diesem Planen ein Ende gesetzt; der Haflingerhengst aus Tirol wird uns hier nicht mehr erreichen. Aber ich habe ja noch die zwei Stuten! Über die weiten Bergkoppeln toben die beiden mit schwungvollen, schwebenden Gängen, in den dichten Mähnen und langen Schweifen spielt der frühlingswilde Wind.
    Die edlen Araberköpfe mit

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