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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Tiergarten» das letzte Schlachtfeld von Berlin sein wird.
    Am Nachmittag bietet sich in einer Feuerpause Gelegenheit, einen Sprung hinüber in die Gesandtschaft zu tun. Die meisten SS-Männer sind verduftet. Nur noch wenige Soldaten und ein Leutnant befinden sich im Gebäude. Draußen stehen Wachtposten. Doch geschieht das natürlich keineswegs zum Schutz der Gesandtschaft! Die Posten spähen angespannt zum Tiergarten hinüber. Auch sie warten auf die ersten Russen. Aber mit anderen Gefühlen als wir.
    Nachdem ein Wasserrohr in der Legation beschädigt worden ist, müssen wir mit dem Wasser sparsam umgehen. Bis jetzt schöpften wir aus denHeizraum-Kesseln, die Carl vorrausschauend vollaufen ließ, ehe die Schlacht um Berlin begann. Unsere geheime Wasserquelle wurde von den Deutschen nicht entdeckt. Sonst aber haben sie wahrhaftig alles Trinkbare und Eßbare innerhalb der Gesandtschaftsmauern aufgespürt!
    Der norwegische Journalist
    Theo Findahl 1891–1976
Berlin-Dahlem
    Die Jungens [Russen] sind gegangen, bevor ich in das Erdgeschoß hinunterkomme, und haben alles in bester Ordnung zurückgelassen; das einzige, was an unseren flüchtigen Gästen auszusetzen war, ist, daß sie die Toiletten schlimm eingeschmutzt haben. Es ist unangenehmer, als es sich anhört, da es in den Leitungen kein Wasser gibt. Wasser ist jetzt nachgerade ein Problem geworden. Wir pflegen über die kleinen Waschwasserbütten zu lachen, die den Touristen in alten Schlössern gezeigt werden, aber jetzt erfahre ich, daß man tatsächlich im Gesicht sauber werden kann, auch wenn man nur so kleine Tassen voll Wasser hat; zum Rasieren braucht man nur die Neige in der Schüssel. Wenn man an die Wassermengen denkt, die ein Mann im Brennpunkt der Zivilisation wie z. B. Neuyork tagsüber braucht, kommt es einem wie unerhörte Verschwendung vor. Glücklicherweise haben wir Holz und Koks genug, um so viel Wasser abkochen zu können, wie wir brauchen. Im Nebengarten haben die Russen eine Feldküche aufgestellt; sie kochen unentwegt Schaffleisch, backen duftende, kräftige Roggenbrote und sind nicht faul, mit Leuten zu teilen, die um Essen bitten.
    Eine Frau
Berlin
    Ab acht Uhr wieder der übliche Betrieb durch die offene Hintertür. Allerlei fremdes Mannsvolk. Plötzlich sind zwei oder drei da, drücken sich um mich und die Witwe herum, suchen uns anzufassen, sind gierig wie die Füchse. Meistens kommt aber einer von den uns bereits Bekannten und hilft uns, die Fremden abzuwimmeln. Ich höre, wie Grischa ihnen das Tabu steckte, wie er Anatols Namen nannte. Und ich bin ganz stolz darauf, daß es mir wirklich gelungen ist, mir einen der Wölfe zu zähmen, wohl den stärksten aus dem Rudel, damit er mir den Rest des Rudels fernhalte.
    Der Bankdirektor Dr. Schmidt
Berlin-Lichterfelde
    Gestern Nachmittag haben wir Frau L. und ihre beiden Mieter, Herrn Kä. und Herrn Za., beides Angestellte von Telefunken, aus dem Keller geholt und beerdigt. Sie lagen alle drei im gleichen Raum, mitten zwischenBettzeug, Wäsche, herumgeworfenem Geschirr und Gerümpel. Lauter Kopfschüsse, fürchterliche Blutlachen. Sie herauszuholen war eine entsetzlich Aufgabe. Ich sprach am offenen Grabe ein Vaterunser. [...] Mehrfach strichen Bolschewisten währenddem durch die Gärten und beobachteten, was wir vorhatten. Das Grab ist im Kod.’schen Garten. Ich konnte das nicht hindern; es war schon zu mehr als zur Hälfte von fremden Leuten begonnen, als ich hinzukam. [...]
    Nach der ungeheuren Erregung der ersten Tage macht sich jetzt die Reaktion bemerkbar. Ich fühle mich an Körper und Seele wie zerbrochen, jedes Glied wie zerschlagen und im Kopf eine dumpfe Leere. Ich starre die blühenden Bäume im Garten an, sie sind irgendwie unwirklich. Kann die Natur denn weiter blühen und wachsen und sich in ihr schönstes Frühlingsgewand kleiden, wenn ringsum die Bestie Mensch allem Hohn spricht, was Gott geschaffen hat?! Was ist der Sinn von alledem? Irgendeinen Sinn muss es doch haben! Aber ich finde ihn nicht – alle Menschen sind lebensüberdrüssig, man neidet den Toten ihre Ruhe. Würde irgendwo Gift verteilt, in Haufen würden die Menschen herbeiströmen und sich darum schlagen!
    Adolf Hitler 1889–1945
Berlin/Führerbunker
    Politisches Testament
    Von allen Deutschen, allen Nationalsozialisten, Männern und Frauen und allen Soldaten der Wehrmacht verlange ich, dass sie der neuen Regierung und ihrem Präsidenten treu und gehorsam sein werden bis in den Tod.
    Vor allem verpflichte ich

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