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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassegesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum.
    Gegeben zu Berlin, den 29. April 1945, 4.00 Uhr.
    Adolf Hitler
    Als Zeugen: Dr. Joseph Goebbels, Wilhelm Burgdorf, Martin Bormann, Hans Krebs
    *
    Friedhof Plonzstraße
Berlin
    Gerhard N. *1914
    Rüdigerstraße
    Freitod durch Erschießen
     
    Ilse N. *1914
    Rüdigerstraße
    Freitod durch Erschießen
     
    Irma N. *1944
    Rüdigerstraße
    Freitod durch Erschießen
    Ein sowjetischer Soldat
Berlin
    Liebe Mutter!
    All das Gewaltige und Unwiederholbare, was in diesen Tagen an meinen Augen vorbeigezogen ist, wird niemals aus meinem Gedächtnis verschwinden.
    Dieser Brief ist in Berlin entstanden. Ja, das ist kein Traum, keine Phantasterei, sondern die allerrealste Wirklichkeit, in Berlin. [...]
    Es fällt einem schwer, sich so eine Möglichkeit vorzustellen, aber die Augen und die Ohren bestätigen etwas, woran der Verstand sich weigert zu glauben.
    Erstmals bin ich nach Berlin hineingefahren um 9 Uhr früh am 23. April. [...] An den Zäunen sah man, als eine Art Tribut an den Tag, die eilig hingeworfenen Aufschriften in deutscher Sprache: «Berlin bleibt deutsch» (Eine Ironie des Schicksals – alle deutschen Zauberformeln und Prophezeiungen zerplatzen wie Seifenblasen); usw. Danach kamen große Häuser. Wieder Ziegeldächer, wieder Mansarden, hie und da sind Einzelvillen eingesprenkelt, zurückgeblieben aus jenen fernen Zeiten, als die Vorstadt noch ein fernab liegendes Dorf gewesen ist. Hier sieht man die Spuren des Krieges deutlicher; heruntergefallene Dachziegel, durchschossene Mauern, leere Augenhöhlen der Fenster. Auf den Straßen liegt viel Schutt und Müll. Die deutschen Soldaten haben sich nicht wenig Mühe gegeben, alle möglichen Hindernisse und Barrikaden aufzubauen, doch all dieses konnte unser Fortschreiten nicht stoppen.
    Als wir die Vorstädte betraten, hatten sich die Kampfhandlungen schon längst auf das Zentrum zubewegt. Es war zunächst recht öde, doch dann tauchten langsam auch die Bewohner auf. Eine recht verschlissene Kleidung aus schlechtem Material, abgetretene Schuhe, blasse ausgemergelte Gesichter. Doch ihr Aussehen erwies sich als etwas besser als die tatsächliche Sachlage. Ohne Scham, mit hungrig glänzenden Augen, mit armseligen, gezwungen lächelnden Gesichtern kamen Frauen, Männer und Kinder auf uns zu und baten um Brot und um etwas zu essen. Wenn ich mich an all dies erinnere, so treibt es mir auch heute noch Tränen indie Augen. Es war ein trauriges Schauspiel, dieser Marsch von hungrigen und verängstigten Menschen. Danach begann die Plünderung der Kaufhäuser durch die Berliner Bevölkerung. Die Menge stürzte durch zerbrochene Schaufenster und aus den Angeln gehobene Türen. Die Greise torkelten unter der Last der ihnen zugefallenen Säcke mit Lebensmitteln, alte Frauen entrissen Kindern Konservenbüchsen. [...] Ich kann stolz darauf sein, daß die ersten Wegweiser in russischer Sprache in Berlin von mir geschrieben worden sind. Nicht irgendwo in Arschbackenhausen, sondern in Berlin. Die Straßenbahnleitungen sind an einigen Straßen abgerissen, weiße Wagen der Berliner Straßenbahn stehen dort herum, wo der Kriegssturm sie einholte.
    Adolf Hitler 1889–1945
Berlin
    Privates Testament
    Da ich in den Jahren des Kampfes glaubte, es nicht verantworten zu können, eine Ehe zu gründen, habe ich mich nunmehr vor Beendigung dieser irdischen Laufbahn entschlossen, jenes Mädchen zur Frau zu nehmen, das nach langen Jahren treuer Freundschaft aus freiem Willen in die schon fast belagerte Stadt hereinkam, um ihr Schicksal mit dem meinen zu teilen. Sie geht auf ihren Wunsch als meine Gattin mit mir in den Tod. Er wird uns das ersetzen, was meine Arbeit im Dienst meines Volkes uns beiden raubte.
    *
    Hertha von Gebhardt 1896–1978
Berlin-Wilmersdorf
    Die Plünderung der Geschäfte hat eingesetzt. Es plündern keineswegs die Russen – vielleicht diese da und dort auch –, sondern im wesentlichen die Volksgenossen. Unbeschreibliche Szenen überall da, wo noch Ware vorhanden ist. Die Weiber schlagen sich, kratzen sich, begießen sich mit Öl, beschmieren sich mit Marmelade, verschütten gutes Mehl, gute Nährmittel, schleppen, wo sie können, zentnerweise alles weg. Widerlich. Es werden kleine Lädchen geplündert wie das von Frl. San- der mit ihren paar Büstenhaltern und Nähröllchen. Das Inventar der

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