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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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die Leute bis dahin von den Mauern des Gebäudes ferngehalten hatte, und ein Partei-Agitator, der offensichtlich geschickt worden war, um sich zum Sprecher der Leute zu machen und sie zum Weitergehen zu bewegen, wurden jetzt gutmütig beiseite gedrängt, und die Menge schob sich über das kleine Geländer am Bürgersteig in den grasbewachsenen Vorgarten und umdrängte den Sockel. Ich brüllte auf Russisch: «Wir gratulieren zum Tag des Sieges. Ruhm und Ehre unsern sowjetischen Verbündeten!» – was mir das Äußerste dessen schien, was ich sagen konnte. Daraufhin tobten sie vor Freude und hoben einen Sowjetsoldaten so hoch, daß er den Sockel erreichen konnte. Er zog sich zu uns hinauf, küßte und umarmte den verdutzten Sergeanten und riß ihn erbarmungslos hinunter in die ausgestreckten Arme der Menge. Dort schaukelte er hilflos auf einem Meer von Händen und entschwand bald unsern Blicken (Wie man mir sagte, kam er erst am folgenden Tag zurück). Mir selbst glückte die Flucht zurück ins Haus. Den ganzen Tag lang bis spät in den Abend verharrte die riesige Menschenmenge winkend und hochrufend vor dem Haus. Die sowjetischen Behörden waren naturgemäß nicht besonders entzückt davon, zumal dies, wie man uns berichtete, der einzige Ort in ganz Moskau war, wo sich eine Demonstration auch nur einigermaßen vergleichbaren Umfangs abgespielt hatte. Ein einmaliges, höfliches aber zurückhaltendes Hurra der Menge hätte man vielleicht tragbar gefunden, vor allem wenn es von dem Ausdruck der Entschlossenheit begleitet gewesen wäre, die «Überreste des Faschismus» (nämlich jede Art des Widerstands gegen die politischen Absichten der Sowjets) auszurotten; keinesfalls aber diese Wärme, diese Freundlichkeit, diese Begeisterung, die den Repräsentanten einer Regierung gezeigt wurde, von deren Schändlichkeit als bourgeoiser Institution die sowjetischen Propagandisten das Volk schon seit mehr als zwei Jahrzehnten zu überzeugen versuchten. Man kann sich unschwer ausmalen, welche Demütigung die Demonstration für Partei und Polizei gewesen sein muß. Siebenundzwanzig Jahre lang war ohne ihre geflissentliche Vorsorge nicht einmal ein Spatz auf eine Moskauer Straße gefallen, und nun, plötzlich – dies! Sie ließen sich allerlei einfallen, um die Menge zum Weitergehen zu bewegen, errichteten sogar in Windeseile einen Musikpavillon am entgegengesetzten Ende des Platzes und schickten eine Blaskapelle hin. Aber es nützte alles nichts. Die Leute blieben.
    Es war sogar uns selbst ein wenig unangenehm. Wir hatten nicht beabsichtigt, an einem solchen Freudentag Anlaß zur Verärgerung zu geben. Wir hatten wahrhaftig nichts dazu getan, die Demonstration zustande zu bringen oder sie zu verlängern, nachdem sie begonnen hatte. Aber wir waren noch hilfloser als selbst die Behörden.
    *
    Marinenachrichtendienst
    Telegramm 10.30
    Alle ausstrahlen auf allen Wellen.
    Nach Einwilligung in die bedingungslose Kapitulation aller deutschen Streitkräfte sind Versenkungen von Schiffen und Zerstörungen von militärischen Einrichtungen und nichtmilitärischen Anlagen und Einrichtungen nunmehr im Gesamtbereich der Kriegsmarine unbedingt zu unterlassen. Zuwiderhandlungen bedeuten schweren Verstoß gegen ausdrücklichen Willen Großadmirals und werden schwere Nachteile für deutsches Volk bringen.
    Der U-Boot-Mann Eduard Adams
Bergen
    Tagsüber Ruhe; breche meinen Seenotproviant auf.
    Der Leitende Ingenieur Günter Bartelt
Norwegen
    Der schwarze 8. Mai 1945 überraschte uns im Einsatz auf See. Der generelle Befehl lautete: Kein Schiff darf mehr auslaufen! Alle in See befindlichen U-Boote haben England anzusteuern! Dies war der erste Befehl, den wir nicht ausführten. Wir drehten ab und liefen mit unserem Schützling, den wir zu begleiten hatten, Farsund an. Auch hier waren wir schon des öfteren gewesen und sahen nun traurigen Herzens die Stätte früheren Wirkens unter den gänzlich neuen Umständen wieder. Wohl war es noch die alte große Brücke, die den Fjord überspannte, und wohl waren es noch die kleinen geduckten Häuschen wie bisher, aber man sah alles mit anderen Augen. Die Norweger hatten plötzlich geflaggt. Sie feierten auf ihre Art das Ende des Krieges. Man hatte keine rechte Vorstellung davon, wie es nun weitergehen sollte. Wir legten zunächst neben einem Leinensucher an und ließen alle wichtigen Schiffsunterlagen mit Ausnahme des Kriegstagebuches im Schiffskessel verbrennen. Wenige Stunden darauf setzten wir uns aus Warsund

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