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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hat: nur die Klammer jener Grundschuld durch Dulden hält beides noch zusammen.
    Wiederkehr des Lebens • Ja, ich fühl’s: das Leben ist wieder da, es wird auch an mich als an einen Einzelnen wieder herantreten. Der Kristall, den ich oben metaphorisch erwähnt habe, muß, zur Vollendung gekommen, alsbald zerspringen. – Das war noch eine gute Stunde jetzt; mein Nachbar, ein mir nicht näher bekannter Soldat, hat mir sogar eine Tasse voll echtem Kaffee gebracht. – Wir gehen der Kriegsgefangenschaft entgegen, der Deklassierung, wieder einmal dem Leben in trüber Masse in Baracken und hinter Stacheldraht ... «wir»: das hat ein Ende. Dieser doppelte Boden bricht ein. Jetzt heißt es: ich. Und ich will’s ertragen.
    *
    Der Offizier der Waffen-SS
    Léon Degrelle 1906–1994
Oslo – Spanien
    Es war vielleicht halb zwei Uhr morgens, als ich eine beunruhigende Erscheinung bemerkte. Ein großer Scheinwerfer leuchtete hinter uns auf und suchte den Himmel ab.
    Mein Herz schlug schneller.
    Trotz aller Feiern waren wir entdeckt worden.
    Scheinwerfer leuchteten jetzt in unserer Nähe auf. Andere blinkten weit vor uns.
    Auf Flugplätzen zeichneten sich große Lichtvierecke ab. Die Rollbahnen glänzten wie weiße Suter[?].
    Unsere Maschine flog so schnell sie konnte, um diesen verfluchten Lichtern zu entgehen.
    Aber immer wieder leuchteten andere Scheinwerfer auf und folgten uns, als ob sie uns packen wollten.
    Knatternd zeigte sich Lichtschein an den Flügeln.
    Der Funkapparat begann zu knistern. Von den alliierten Flugplätzen aus riefen uns Beobachter an: «Wer sind Sie? ... Was machen Sie? ...»
    Wir antworteten nicht und flogen immer schneller.
    Unter mir lag Belgien.
    Da war Antwerpen, das in der ersten Nacht des wiedergefundenen Friedens erstrahlte.
    Ich dachte an unsere Flüsse, Straßen, an alle Orte, in denen ich gesprochen hatte, an die Ebenen und die Hügel und die alten Häuser, die ich so sehr geliebt hatte. Dort, unter der dunklen Maschine, war das ganze Volk, dieses Volk, das ich erhöhen, adeln und auf den Weg der Größe hatte führen wollen ... Zu meiner Linken sah ich die Lichter von Brüssel und den großen schwarzen Fleck des Waldes von Soignes, in dem mein langgestrecktes, geliebtes Heim lag ...
    Wie groß ist doch das Unglück des Besiegten, der seine Träume zerrinnen sieht! [...] Ich biß die Zähne aufeinander, als mir die Tränen kamen ... In Nacht und Wind, verfolgt von einem bitteren Schicksal, hatte ich meine letzte Begegnung mit dem Himmel meines Vaterlandes ...
    Nun lag Lille hinter uns. Immer noch suchten die Scheinwerfer der Flugplätze nach uns.
    Aber je mehr wir nach Süden kamen, um so größer wurde unsere Hoffnung, dem Tode zu entrinnen.
    Wir näherten uns Paris, das unsere «Heinkel» in sehr niedriger Höhe überflog. Ich konnte die Straßen und Plätze erkennen, die silbergrau wie Tauben erglänzten.
    Wir lebten noch! Wir überflogen die Beauce, die Loire und die Vendée. Bald würden wir am Atlantik sein.
    Aber unsere Flieger sahen sich sorgenvoll an. Gewiß war nun die Gefahr geringer, von der alliierten Flak oder den Nachtjägern abgeschossen zu werden. Aber unser Benzin nahm ab.
    Die Nacht war entsetzlich dunkel.
    Mit Sorge sah ich nach unten. Die Leuchtzeiger zeigten fünf Uhr morgens. Ein schwacher Schimmer zeichnete sich in der Dunkelheit ab. Ichhatte ihn sofort erkannt. Es war die Girondemündung. Wir waren auf dem richtigen Wege.
    Wir flogen am Meer entlang.
    Schwach konnten wir die Brandung am Strande erkennen. Weit im Osten wurde es kaum merklich heller.
    Das Benzin ging immer mehr zur Neige.
    Im bläulichen Schimmer des Armaturenbretts betrachtete ich die besorgten Gesichtszüge der Piloten.
    Die Maschine flog langsamer und ging herunter.
    Wir flogen an Arcachon vorbei. Dort hatte ich früher unter den duftenden Kiefern gelebt. Der Hafen war erleuchtet wie am 14. Juli.
    Wir flogen an den düsteren Strecken der «Landes» entlang, in denen der große See von Biscarosse wie ein leuchtender Fleck lag.
    Die «Heinkel» hatte zahlreiche Fehlzündungen.
    Einer der Flieger gab uns Rettungsgürtel. Der Benzinvorrat war auf der Neige angelangt. Jeden Augenblick konnten wir nun ins Meer abstürz en.
    Mit nervenzerreißender Spannung suchte ich nach der vermutlichen Linie der Pyrenäen. Schwaches Licht schimmerte.
    Die Bergketten mußten zu sehen sein ... Wir sahen sie nicht. Die Fehlzündungen wurden immer vernehmbarer.
    Im Südosten zeichete sich eine zartblaue Kette am Himmel

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