Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
aufgehängt habe, die man in Kloaken beinahe hätte ersticken lassen. Mir war den ganzen Tag zum Erbrechen zumute über die Schändung des Namens unseres Volkes.
Die Truppen, die von Dänemark kommen, werden angekündigt. Vorläufig haben wir neue Gruppen auf dem Hof, die sich seit Tagen nur noch von Haferflocken in Suppen ernährten und Fleisch verlangten. Im allgemeinen geht es musterhaft zu, aber der Druck wird stärker. Es ist sehr schwierig für mich, den Menschen begreiflich zu machen, dass ich Herdbuchtiere habe, sowohl bei den Rindern wie auch bei den Schweinen, und dass Edelzuchten kein Schlachtvieh seien.
Major Ruppert, der mir Freund wurde, und der junge Otto August Ehlers werden heute fahren, es tut mir leid. Ich habe mit beiden in diesen schweren Tagen schöne Stunden des Trostes und der Ablenkung in die Philosophie verbracht und lernte durch Zufall der Einquartierung in Ruppert einen der feinsten Köpfe der katholischen Führer unseres Volkes kennen.
*
Olga Gindina 1902–1966
Moskau
An ihren Mann,
8 Uhr abends
Mein Lieber!
Ich habe Dich nicht rechtzeitig fest an die Hand genommen, und Du hast Dich ein wenig gehenlassen. Bei Deinem letzten Besuch hier hast Du stark gealtert ausgesehen, warst aufgedunsen – man sieht, daß die Frauen sich schlecht auf Dich auswirken und Dich reichlich entkräftet haben. Gott mit Dir, Lasinka, wenn es Dir mit ihnen wohl ist, dann – bitte sehr. Aber Du mußt wissen, daß nichts, daß keines Deiner Päckchen mich freut, wenn Du nicht bei mir bist. Niemand kann Dich mir ersetzen, und ich bin vollkommen einsam. Sicher, die Kinder sind in meiner Nähe, aber das ist nicht dasselbe. Die haben ihre eigenen Interessen und können mir nicht viel Aufmerksamkeit schenken. Und Du schaffst Dir, wie ich sehe, Deine eigene Wirtschaft und hast nicht vor, zu mir zu kommen. Und ich habe auch nicht vor, zu Dir zu kommen: Ich will Dich nicht «stören» wie im letzten Sommer – wo ich gelitten habe und es für Dich eine Belastung war.
An Essen haben wir keinen Mangel, da leben wir luxuriös. Wir kaufen nur Brot und Kartoffeln. Alles andere haben wir. Butter haben wir schon lange nicht mehr, weil sie, wie sich herausstellte, mit Quark vermischt war und sehr schnell ranzig wurde, und da habe ich sie ausgelassen. Die Konserven, die Du geschickt hast, schmecken sehr gut. Das ist, wie sich gezeigt hat, Büffelfleisch. Ganja hat auch so eine Dose mitgebracht, und die haben wir schon geleert, während wir Deine erst heute angebrochen haben. Wenn wir keinen Strom haben, essen wir das zum Frühstück, zum Abendessen usw. Der Honig ist lecker, aber bedenke, daß es kein reiner Honig ist, da ist Mehl untergemischt, und das schmeckt man heraus. Überhaupt kam das Päckchen mit den süßen Sachen sehr passend, gerade zum Feiertag. Aus der Kondensmilch haben wir zum Feiertag Tortenteig gemacht und Milchbrötchen gebacken. Aber mir war so traurig ums Herz.
Du versprichst, uns Eier zukommen zu lassen – das ist gut, denn die unsrigen sind wir sehr leid. Wenn Du ein Päckchen schicken solltest, wäre es gut, wenn Du einige Zwiebeln mitschicken könntest, denn wir haben schon bald keine mehr.
Ich habe den Eindruck, daß Du Deine Pflicht gegenüber der Familie erfüllst, aber mit mir zu reden, und sei es nur brieflich, hast Du keine besondere Lust. Na gut! Ich werde das alles überleben. Ich fürchte nur, daß, wenn mein großer Freudentag kommt und ich wieder mit Dir zusammenlebenwerde wie zuvor, es schon ans Sterben gehen wird, es wird dann doch zu spät sein. Also, Lasinka, ich habe meine Pflicht Dir gegenüber erfüllt: Ich habe Dir ausführlich über alles und alle geschrieben. Verzeih, daß ich Dich mit meinem langen Brief gelangweilt habe.
Gruß von uns allen.
Ich küsse Dich. Deine Olja.
Der Rotarmist Semjon Worogulin
im Osten
An seine Mutter
Mama, guten Tag!
Alles läuft gut.
Heute nacht haben wir die Nachricht gehört, daß die Höhle der Faschisten, Berlin, gefallen ist. Mit dem Fall Berlins erblicken wir den Weg in eine herrliche Zukunft!
Gruß von der Front!
Dein Sohn Semjon.
Nat alja Krischanowskaja *1909
Aschchabad/Turkmenien
An ihren Mann,
Guten Tag, lieber Witali!
Da ich nicht die Angewohnheit habe, etwas vor Dir zu verbergen oder die Unwahrheit zu schreiben, werde ich Dir jetzt auch offen sagen, was mich geärgert hat.
Du hast geschrieben, daß bei Dir alles beim alten ist und daß es nichts zu schreiben gibt, und dann, daß Ihr Euch schon daran gewöhnt habt,
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