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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ab. Das waren die Pyrenäen!
    Ob wir wohl bis zur spanischen Grenze in der Luft bleiben würden?
    Durch den Sturm vorangetrieben, waren wir fast zweitausenddreihundert Kilometer geflogen. Wir mußten die Maschine auf den linken Flügel und dann auf den rechten Flügel drehen, um die letzten Liter Benzin aus den Reservetanks in die Motoren laufen zu lassen.
    Ich kannte die Gegend von Biarritz und Saint-Jean-de-Luze. Ich erkannte bereits die weiße Einbuchtung der Pyrenäen an der Mündung der Bidassoa.
    Aber die Maschine wollte nicht mehr, sie war schon fast bis auf die Wellen heruntergegangen. Zwanzig Kilometer vor der iberischen Küste sollten wir untergehen.
    Wohl oder übel mußten wir die roten Seenotraketen abschießen: Zwei Boote der Kriegsmarine kamen von der französischen Küste her auf uns zu.
    – Welches Pech! Und dabei leuchtete nun in der Ferne ein Leuchtturm, ein spanischer Leuchtturm!
    Die schaumigen Wellenkämme und das Wogen des Meeres, dicht unter uns, boten in ihrer Bereitschaft uns zu verschlingen, einen seltsamen Anblick ... Noch immer fielen wir nicht. Die Küste kam näher mit ihrer Brandung, ihren Riffen und ihren schwarzgrünen Bergen, die gerade erst aus der Dunkelheit aufgetaucht waren.
    Plötzlich riß der Pilot die Maschine steil nach oben, jagte fast ebenso steil wieder nach unten, suchte mit donnernden Motoren die letzten Tropfen Benzin heranzuholen und jagte dann über einen felsigen Hügel, wobei er unter schaurigem Lärm über einige rote Dächer wegflog. Wir hatten keine Zeit mehr zum Nachdenken.
    Blitzartig hatten wir eine kurze Sandstrecke entdeckt. Die «Heinkel», die ihr Laufgestell nicht heruntergelassen hatte, glitt mit zweihundertfünfzig Stundenkilometern auf ihrem Rumpf über den Boden. Ich sah, wie der rechte Motor wie eine Feuerkugel wegflog. Die Maschine drehte sich, stürzte ins Meer, versank in den Wellen und zerschellte.
    Das Wasser drang in die Kabine ein und stieg uns bis zum Leib. Ich hatte fünf Brüche. Auf dem Strand von San Sebastian liefen aufgeregte Zivilgardisten mit schwarzen Zweimastern vor den Villen und Hotels auf und ab. Spanier kamen schwimmend, nackt wie Südseeinsulaner, zu unserem gestrandeten Flugzeug.
    Sie hoben mich auf einen Flügel der zweimotorigen Maschine und dann in ein kleines Boot. Ein Sanitätswagen stand am Ufer.
    Diesmal war der Krieg wirklich zu Ende ...
    Ich lebte. Gott hatte mich gerettet.
    Selbst meine Verletzungen waren ein Segen.
    Ich sollte Monate im Bett eines Hospitals verbringen.
    Ich hatte meine Kraft und meinen Glauben bewahrt.
    Ich hatte die Bitterkeit, nutzlos in die Hand meiner Feinde zu fallen, nicht erleben müssen.
    Als Zeuge der Taten meiner Soldaten blieb ich übrig. Ich konnte sie von den Anwürfen ihrer Gegner säubern, die kein Gefühl für Heldentum haben. Ich konnte von ihren Taten am Donez und am Don, am Kaukasus und in Tscherkassy, in Estland, in Stargard und an der Oder berichten.
    Der Tag wird kommen, an dem die geheiligten Namen unserer Toten mit Stolz genannt werden. Bei diesen ruhmvollen Geschichten werden die Herzen unseres Volkes schneller schlagen. Und es wird seine Söhne anerkennen.
    Zweifellos waren wir materiell besiegt worden.
    In allen Ecken Europas waren wir nun zerstreut und verfolgt.
    Dennoch konnten wir der Zukunft erhobenen Hauptes entgegensehen. Die Geschichte wägt das Verdienst der Menschen. Über alle irdischen Unvollkommenheiten hinweg hatten wir unsere Jugend rückhaltlos geopfert. Wir hatten für Europa, seinen Glauben und seine Kultur gekämpft. In Aufrichtigkeit und Opferbereitschaft waren wir bis zum Ende treu geblieben. Früher oder später muß Europa und die Welt die Gerechtigkeit unserer Sache und die Reinheit unserer Hingabe anerkennen.
    Denn der Haß stirbt, er erstickt an seiner Torheit und Niedrigkeit. Aber alles Große ist ewig.
    *
    Ilse F.
Lager Lubovka/Sowjetunion
    Ich arbeitete nicht mehr im Schacht, sondern draußen auf der «Otlatka», beim Waggonausladen. Um 5 Uhr morgens hörten wir Glockenläuten. Etwas ganz Besonderes mußte es sein. Später kam unser Vorarbeiter u. sagte «Voina caput», der Krieg ist aus.
    Marlis Brink *1927
Lager Nischni-Tagil/Sowjetunion
    Bei Bekanntgabe des Kriegsendes am 8. Mai haben wir alle geweint. Gehofft wurde nur auf baldige Heimkehr.
    Bernhard Kuhn *1891
Kriegsgefangenenlager/Sowjetunion
    Unser Barackenkommandant, ein Pole, der für uns Deutsche nichts übrig hatte, erschien mit einem Papier in der Hand und kam sich ganz besonders

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