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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Koppel, ohne Schuhe mit durchbluteten Verbänden an beiden Füßen. Aber er lebte! Er sah aus wie die Personifizierung des verlorenen Krieges, – aber er lebte. Selig hielten wir uns in den Armen. Dann umtanzten uns die Kinderlein; die Eltern, Hausgenossen und Nachbarn kamen herbeigeeilt. Welch froher Augenblick.
    Die Seminaristin
    Hildegard Holzwarth *1928
Herm annshütte/Sudeten
    Heute war die Siegesfeier unsrer Feinde. Gestern haben wir vor den Westmächten die Waffen gestreckt. Gegen den Bolschewismus kämpfen wir noch weiter. Aber es dauert höchstens noch Stunden. Die Kämpfe in Prag sind auch beendet. Wir sind der Übermacht erlegen und jetzt der Willkür der Feinde preisgegeben. Unsre Soldaten werden nur noch als Gefangene herumgeführt. Heute mußten wir Sonntagsruhe halten und flaggen zur Siegesfeier. Wir haben natürlich die weiße Fahne gehißt. Nachmittags kam zu uns ein Amerikaner, ein richtiger Gangstertyp. Mich schaudert vor diesen Männern. Brrr! In den nächsten Tagen erwarten wir die amerikanische Besatzungstruppe. Augenblicklich führen an ihrer Stelle die Tschechen das Regiment. Sie demütigen uns, wo sie nur irgend können. Das ist schon so schwer gewesen für das ganze Volk, sechs Jahre durchzuhalten. Nun kam alles so plötzlich, daß wir uns gar nicht besiegt fühlen. Immer von neuem müssen wir uns an den Gedanken des Zerfalls des Reiches und unserer Auslieferung gewöhnen. Ich weiß, daß uns ein langer Leidensweg bevorsteht. Die Friedensbedingungen sind ungeheuer hart. Die Amerikaner sind gewalttätige Menschen. Deutsche Mädel sind für sie Freiwild. Aber wir werden uns wehren mit Händen und Füßen. Am besten wird sein, diese Menschen einfach zu übersehen. Es wird ja auch wieder einmal besser werden, ja, es muß ja so sein. Wir Deutschen haben den ungeheuren Willen dazu. Wir Jungen werden es schaffen trotz allem. Wenn uns nur ein gütiges Geschick wieder einen Führer schenken möchte, sonst sind wir durch innere Zwistigkeit allen äußeren Sachen preisgegeben. Die Siegesfeier war die erste große Demütigung
    Der Soldat Ernst Hammen 1902–1984
Tschechoslowakei
    Es muß der 8. Mai 1945 gewesen sein; das große Türmen begann auch bei uns. Der Start verzögerte sich freilich, wie meistens. Da gingen zwei hochbepackte Zivilfranzosen vorbei. Die Trikolore, die sie mit sich führten, wies sie als solche aus. «Wo wollt ihr hin?» fragte ich die beiden. – «Nach Westen», war die Antwort. – «Genau dahin will ich auch», sagte ich. Auf diese Weise kamen wir ins Gespräch. Sie waren als Studenten nach Deutschland zur Arbeit verpflichtet worden. Nach dem Untergang Dresdens, wo sie gearbeitet hatten, hatte sie das Schicksal nach Setzdorf verschlagen. Es waren zwei stattliche junge Männer, deren Wesen Vertrauen ausstrahlte. In den folgenden vierzehn Tagen, die wir zusammenblieben, erwiesen sie sich als echte Kameraden.
    Sinngemäß erklärte ich ihnen folgendes: «Mit diesem Mordsgepäck kommt ihr nicht weit, schmeißt es in die Krippe hinten am Wagen und marschiert mit mir, solange ihr Lust habt, bzw. sitzt hinten auf. Nachher nehmt ihr mich mit als Zivilfranzose.» Meine Sprachkenntnisse reichten dafür aus. Ein Elsässer, 1917 aus der Schule gekommen, braucht ja nicht unbedingt perfekt Französisch zu sprechen! Die Sache leuchtete ihnen ein. Wir ließen uns am Ackerrain nieder. Ich holte meine Eßvorräte heraus, die meine brave Wirtin mir eingepackt hatte, Butter und Schinken, – Brot hatten wir ja eine ganze Wagenladung dabei – und teilte fein säuberlich in drei Teile. Jeder erhielt seinen Teil, die Kameradschaft war besiegelt.
    *
    Klaus Mann 1906–1949
(Berchtesgaden)
    An seinen Vater
    Von Innsbruck fuhren wir nach Berchtesgaden weiter. Das Gewimmel von alliierten Truppen, größtenteils Franzosen und «displaced persons» jeder Nationalität, war dort noch dichter, auch noch lärmender, von karnevalistisch wilder Ausgelassenheit. Zahlreiche Betrunkene fielen durch besonders entfesselte Manieren auf; der Wein, an dem sie sich derart angeheitert hatten, stammte aus Hitlers Keller. Zwei Tage lang war der «Berghof» von unseren Soldaten – G.I.s und Poilus – systematisch geplündert worden; es muß eine Raub- und Siegesorgie großartig- wüsten Stils gewesen sein. Leider kamen Freund Tewksbury und ich zu spät, um dies noch mitzumachen. Wir fanden den berühmten Landsitz von militärischer Polizei bewacht – recht überflüssigerweise. Nach den Bomben, die hier schon früher

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