Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Vorstellung, den Krieg so banal zu beenden, im Gin. Meine Trunkenheit muß die Erinnerungen durcheinandergebracht haben. Ich sehe noch den zerstörten Hafen, die schwangere jugoslawische Partisanin, die mit einer Handgranate auf dem Bauch in den Resten eines Stadtparks herumlief, den absurden Seemann, der mit geschultertem Bajonett den Kreuzer «Columbus» bewachte, der am Quai mit dem D’Annunzio-Spruch «Wir werden hier für immer bleiben» trieb.
Ich erinnere mich an das Patrouillenboot, das mich nach Italien zurückbrachte, die Fahrt nach Turin, wo ich Nachrichten von meiner Familie suchte. Die Stadt feierte, man tanzte in den Straßen, es gab keine alliierten Truppen, und ein Partisan, der mich Italienisch sprechen hörte, drückte mir das Gewehr auf die Brust, da er mich für einen verkleideten Faschisten hielt. Ich weiß nicht mehr, was ich am 8. Mai tat. Vielleicht war dies der Tag, an dem die bombardierte Synagoge wieder öffnete. Oder jener, an dem ich zu einem Schuster ging, der Schuhe mit dem Leder von gestohlenen Gesetzesrollen reparierte. «Ich wußte nicht, daß das heiliges Leder ist», sagte er. Wir sammelten alle Stücke zusammen, und er wies das Geld zurück, das ich ihm für ein Paar Damenschuhe geben wollte, die auf der Sohle mit uralter Tinte geschriebene hebräische Lettern trugen.
Der Major Erwein Karl Graf zu Eltz
Kroatien
Die Ereignisse überstürzen sich, und die Lage zwingt uns zum raschen Weichen. Wir bildeten aus dem Korpsstab einen möglichst starken Geleitzug. Ich zog es vor, meinen eigenen Wagen zu benützen, und setzte mich bis an die Zähne bewaffnet vor das Fahrzeug des Generals. Unser Weg führte uns vorerst über Trakostan nach Windisch-Freistritz. Unsere ganze Aufmerksamkeit galt dem bergigen Gelände. Wir hockten locker und sprungbereit auf den Autositzen, mit den Fingern am Züngel unserer Maschinenpistolen. Erst bei einbrechender Dunkelheit erreichten wir Windisch-Freistritz, wo wir von Nandi Attems in gastlicher Form aufgenommen wurden. In seinem schönen und gepflegten Haus stellte er uns eine Reihe von bequemen Gastzimmern zur Verfügung, die von unserem Stabspersonal unverzüglich mit den notwendigen Führungsbehelfen versehen wurden. Graf und Gräfin Attems waren rührend bemüht, uns alles so bequem als möglich zu machen. Ich war im höchsten Grad überrascht und beunruhigt, daß unsere feundlichen Gastgeber offenbar nicht im entferntesten daran dachten, sich nach dem Westen abzusetzen und in Sicherheit zu bringen. Ich besuchte Nandi in seinem Schreibzimmer und sah dort, so wie überall im Schloß, daß er an seinen Lebensgewohnheiten nichts geändert hatte. Silber und andere Wertgegenstände befanden sich an ihren Plätzen wahrscheinlich wie eh und je. Ich sprach ihn darauf an und versuchte ihn zu überreden, doch wenigstens die wichtigsten Sachen zusammenzupacken und sich uns anzuschließen, da wir noch genügend Platz auf unseren Fahrzeugen hätten. Er meinte, daß er für seine Familie nichts Ernstes zu befürchen habe, da einer seiner Söhne im besten Einvernehmen mit den Partisanen stünde. Obwohl köstliche Betten aufreizend einluden, unsere müden Körper aufzunehmen, kam es nicht mehr dazu, da uns gegen Mitternacht die Nachricht erreichte, daß Deutschland auch dem Osten gegenüber kapituliert hat und daß ab 1 Uhr nachts der Stillstand aller Bewegungen zu erfolgen hätte. Unsere Divisionen erhielten trotzdem Befehl, sich auf Biegen oder Brechen zur österreichischen Grenze durchzukämpfen.
Der Stabsarzt
Dr. Hans Uhlemann *1907–1998
Kroatien – Österreich
Am nächsten Tage ging es weiter, an der Drau entlang, ständig in Sorge, plötzlich aus den undurchsichtigen Wäldern beschossen zu werden. Aber es passierte nichts, der Waffenstillstand war ja schon in Kraft getreten. Unterwegs kamen wir an einem großen Proviantlager vorbei. Wir wollten Zigaretten usw. fassen, aber der Oberzahlmeister wollte nichtsherausgeben ohne besondere Anweisung seiner vorgesetzten Dienststelle, obwohl doch die Kapitulation schon bekanntgegeben war. Na, endlich ließ er sich etwas erweichen.
Dann kamen wir endlich, endlich über die alte Reichsgrenze und fuhren ins Lavanttal ein. Es war eng, die Straße schmal und vor uns Wagen an Wagen, dazwischen Kosaken der auf unserer Seite kämpfenden «Wlassow-Armee», die in geradezu panischer Angst versuchten, mit ihren Pferden zu entkommen, und sich in die Bergwälder schlugen.
Es kam die Nachricht, daß die Rote Armee uns im
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