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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Spalier der Sieger in das Dunkel der Zukunft.
    Unter den kapitulierenden Einheiten befanden sich auch viele Waffen- SS-Verbände, und darunter sah man wahre Hünen von Männern, was die neben mir stehenden russischen ROA-Offiziere wiederholt zu Ausrufen der Bewunderung hinriß. «Kakije Orly!» (Was für Adler!) hörte ich sie immer wieder rufen. Bezeichnenderweise sollte mir in meiner langen Gefangenschaft bei den Sowjets dann auch noch sehr oft diese Bewunderung ausgerechnet für die Angehörigen der Waffen-SS seitens der einfachen Offiziere und Soldaten der Roten Armee begegnen.
    Der Rotarmist Boris Gindin 1926–1945
Tschechoslowakei
    An seine Schwester
    Guten Tag, Musja!
    Ich bin jetzt in einem tschechoslowakischen Dörfchen. Die Deutschen sind von hier weggelaufen. Übriggeblieben sind nur die «tschechisch Leud», wie sie hier an die Türen schreiben. Einige Deutsche haben vergeblich versucht, sich als solche «Leud» auszugeben.
    Das Wetter ist jetzt herrlich. Es ist heiß. Überall ist Grün. Den Brief schreibe ich auf einem Balkon, einem solchen wie der, auf dem einst Romeo und Julia sich gegenseitig ihre Liebe gestanden haben. In der Wohnung, in der ich bin, wohnen zwei tschechische Mädchen. Eine ist 19, die andere 20. Schade, daß ich nicht gut Tschechisch kann. Viel kann man mit ihnen nicht reden. Aber es sind wunderbare Mädchen. In der Freizeit tanze ich mit ihnen zur Musik vom Koffergrammophon. So ein Leben ist das hier, mit allen Vergnügungen.
    Schreib mir mehr. Was macht Deine Schule? Wie geht es Ganja? Ich interessiere mich für alles.
    Gruß. Boris
    *
    Alisah Shek *1927
KZ Theresienstadt
    Ganze Nacht und ganzen Tag Kanonade, ganz nahe. Vormittag SS ins Ghetto geschossen. Altmann. Südbaracken – anfangs mit Entwesung in Bodenbacher [Kaserne], bewältigt? Typhus geht weiter. Männer aus Mai- und Dezember-Transporten aus Schwarzwalde. 3 Wochen unterwegs, zufuß gekommene Von 1000 250 geblieben. Nachrichten: Rotes Kreuz, Raschka – Wahnsinniger, Hysteriker, kommandiert Sudeten [Kaserne]. Antisemit. 68) Die Juden Schindelt (Jubel in den Straßen, Russen kommen) und werden gehetzt und beschimpft (Gebrüll draußen) und mit Dreck beworfen. Auftrag für 40000 Ankömmlinge, die alle Wege bis morgen abend. Bretterzaun um Bauschowitzer Kessel (Jubel), und dann überdachen! Meissner – übernommen. Sitzung – Juden, Sudetenkas [erne]. Tschechen. Zirka [Georg Vogel] ist weggelaufen. Abgelehnt einen Teil der Verantwortung zu übernehmen. Absolut unmöglich. Morgen sollen Leute (Tschechoslowaken) schleunigst wegkommen – ohne Rücksicht, ob geschossen oder was. Zufuß – das nennt man Rückkehr heim. Das Ganze geht daneben, es muß. Abends um halb zehn die ersten Russen. Gebrüll und Jubel. Gestern sangen sie tschechische Lieder, trugen Trikoloren, heute singen sie die Internationale und tragen rote Fahnen durch die Stadt. Es ist in mir eine Bitterkeit, ich kann nicht mehr mit ihnen gehen, denn in mir brach etwas, und an mir liegt eine Last von Jahrhunderten, aufgewühlt und lebendig. Ich habe nur einen Weg, und mich ekelt dies alles an. Menschen ekeln mich an. Indem ich an sie denken muß, kommt über mich eine Hoffnungslosigkeit derer, die alles Unverdaute aller Singenden tragen müssen.
    Erich Kessler
KZ Theresienstadt
    Heute morgens um 1/27 wurde ich geweckt mit der Nachricht, daß mein Bruder Hans heute nacht mit einem Transport nach Theresienstadt gekommen ist.
    Ich war natürlich im Nu aus dem Bett und angekleidet und lief zur Sammelstelle. Das war ein Wiedersehen, nach so vielen Jahren schmerzlicher Trennung! Oft war ich ganz mutlos und wagte nicht an ein Wiedersehen zu glauben. Dann faßte ich doch wieder Hoffnung, und Gott sei Dank hat sich diese als begründet erwiesen. Aber wie mußten wir uns wiedersehen. Abgemagert mit dem typischen KZ-ler Blick, der von unvorstellbarem Grauen spricht. Das Normalgewicht von Hans war 72–73 kg. Heute wiegt er 48. Viel mußten die armen Kerle mitmachen, ehe sie den unter dem Schutze des Roten Kreuzes stehenden Boden Theresienstadts betraten und dadurch dem Leben wiedergegeben wurden. 3 Wochen warensie unterwegs. Fast ohne Essen u. größtenteils zu Fuß. Die letzten 2 Nächte waren besonders arg. Es regnete in Strömen, und sie standen im offenen Lastwaggon eng zusammengepfercht und bis auf die Haut durchnäßt. Dabei aber todhungrig, so daß einer nach dem anderen vor vollkommener Entkräftung tot zusammenbrach. 70 Todesfälle waren in der letzten und

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