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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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1913–1980
Berlin
    Früher waren die Führer-Geburtstage gewöhnlich wie folgt «eingeleitet» worden: Hitlers persönlicher Stab erschien um Mitternacht vom 19. auf den 20. April und gratulierte zuerst, nachdem ich es allerdings bereits immer schon getan hatte; denn ich mußte Hitler ja melden, daß der Stab zur Gratulation erschienen sei. Diesmal sah alles anders aus. Hitler hatte mir zuvor schon gesagt, daß er Gratulanten nicht empfangen werde, was ich den zu ihm kommenden Herren beibringen solle. Es gäbe nichts, wozu man ihm noch gratulieren könne. Dennoch versammelten sich gegen Mitternacht im Vorraum der Chefadjutant General Wilhelm Burgdorf, der SS-Gruppenführer Hermann Fegelein, Hitlers persönlicher Adjutant Julius Schaub, der Marine-Adjutant Albrecht, der Chef der Adjutantur der Reichskanzlei, der Adjutant Otto Günsche, der Botschafter Walter Hewel, der den Reichsaußenminister im Führerhauptquartiervertrat, und Werner Lorenz als Vertreter des Reichspressechefs. Nachdem Hitler dies von mir erfahren hatte, blickte er mich müde und niedergedrückt an. Ich mußte dem wartenden Stab mitteilen, daß der Führer keine Zeit habe, ihn zu empfangen. Dabei blieb es zunächst. Doch dann nutzte Fegelein, der mit Eva Brauns Schwester Gretl verheiratet war und sich mit Eva duzte, seine verwandtschaftlichen «Beziehungen». Er ging zu seiner Schwägerin Eva und redete auf sie ein, den Führer zu bewegen, die Gratulanten, die nicht von seiner Seite weichen würden, zur Gratulation zu empfangen. Eva «schaffte» es. Widerwillig erhob Hitler sich und ging, gebückt, mit schleifenden Schritten, in den Vorraum, wo jeder nur gerade «ich gratuliere» sagen konnte – und dann Hitlers gebeugten Rücken von hinten sah. Hans Baur, Hitlers Chefpilot, sein zweiter Pilot Betz, Rattenhuber, der stellvertretende Chef des Sicherheitskommandos Peter Högl und Franz Schaedle, der Chef des SS-Begleitkommandos in der Reichskanzlei, die ebenfalls gratulieren wollten, hatten den Anschluß verpaßt. Als sie zu Beginn der Nachtlage-Besprechung erschienen, um dem «Chef» zu gratulieren, befand er sich gerade auf dem Wege von seinem Arbeitszimmer zum Lagezimmer. Im Vorübergehen reichte er jedem von ihnen die Hand.
    Nach der Lagebesprechung, die nur eine kurze Zeit in Anspruch nahm, kam Eva Braun zu ihm ins Arbeitszimmer, wo beide gemeinsam Tee tranken und allein sein wollten. Der Geburtstag war der Lage angemessen.
    Kaum waren Hitler und Eva Braun zu Bett gegangen, es war gegen 9 Uhr früh, erschien General Burgdorf und bat mich geradezu händeringend, «um Gottes willen doch den Führer zu wecken», damit er, Burgdorf, ihm eine sehr wichtige Frontmeldung vortragen könne. Ich tat es. Hitler, der zwar sofort aufstand, sich aber nicht anzog und auch nicht den Schlafraum verließ, sondern nur an die Tür ging, fragte durch die Tür: «Was gibt es, Burgdorf?» Nachdem der neben mir stehende General ihm durch die Tür gemeldet hatte, daß die Russen zwischen Guben und Forst durchgebrochen und Gegenangriffe bereits eingeleitet worden seien und der Kommandeur der eigenen Einheiten erschossen wurde, weil er bei der Verteidigung seines Frontabschnittes «versagt» hatte, befahl Hitler mir: «Linge, ich habe noch nicht geschlafen. Wecken Sie mich eine Stunde später als sonst um 14 Uhr.»
    Befehlsgemäß weckte ich Hitler um 14 Uhr. Dann frühstückte er und ließ sich von mir Kokaintropfen ins rechte Auge träufeln. Ein Gespräch kam nicht zustande. Er wollte «Wolf» zu sich gebracht haben, ein Junges seiner Schäferhündin «Blondi». Mit dem kleinen Rüden, seinem Lieblingswelpen,spielte er dann bis zum Mittagessen, das er zusammen mit Eva und den Sekretärinnen einnahm. Er hatte sich nun total abgekapselt, wollte außer Eva und mir – keinen Menschen mehr sehen. Ganz der Gegenwart entfliehen konnte er jedoch nur bedingt. Gegen 15 Uhr warteten Abgesandte der Hitler-Jugend unter Arthur Axmanns Führung, Offiziere der Heeresgruppe Mitte, der Kommandant des Führerhauptquartiers, der Chef der Wachkompanie des Führers, ein Mitarbeiter Bormanns und einige SS-Männer am Bunkerausgang der Reichskanzlei, um ihm ebenfalls zu gratulieren. Hitler, der einen feldgrauen Uniformmantel trug, schlug den Kragen hoch und begab sich, von dem Marineadjutanten Karl-Jesko von Puttkamer und von mir begleitet, zu den Gratulanten, die bei unserem Erscheinen schweigend «Haltung» annahmen und Hitler den «Deutschen Gruß» entboten. Im Park, an der Tür des

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