Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
schwierig, aber ich habe mich auch nicht bemüht, sie zu lernen, dort war mir alles zuwider, die Landschaft, die Architektur, die Menschen (und nach den Begegnungen mit den Serben und den Bulgaren ist das nicht erstaunlich). Hier in Österreich kann man die Sprache verstehen (und zwar möglicherweise besser als in Deutschland selbst, denn mir scheint, daß die Österreicher im Vergleich zu den reinblütigen «Ariern» ein Deutsch sprechen, das unserem «Schuldeutsch» nähersteht).
Jedenfalls fällt mir das Reden und das Verstehen bei den Österreichern leichter als bei den gefangenen Fritzen. Also: Was die Sprache angeht, ist es leichter. Aber das Volk ist noch fremder als die Magyaren. Entweder sind sie durch Hitlers Propaganda dermaßen verschreckt, oder sie sind eben wirklich so, in jedem Falle wecken weder ihr Aussehen noch ihre Blicke irgendwelche Sympathien.
Ich wußte mir zuzureden, daß das noch keine Deutschen sind, sondern eben Österreicher (d.h. die ersten, die die deutsche Gewalttätigkeit zu spüren bekamen), aber dennoch kann ich mich eines gewissen Unbehagens nicht erwehren, wenn ich mit ihnen zu tun habe. Und wenn das schon bei mir so ist, dann kann ich mir vorstellen, was unser durchschnittlicher Soldat sich denkt.
Immerhin hat man unseren Leuten bis zu einem gewissen Grad beigebracht, sich zu benehmen (was man allerdings von einigen Infanterieeinheiten nicht behaupten kann, insbesondere nicht von den vorausgehenden Aufklärern, die machen, was sie wollen, und gehen über jedendenkbaren und undenkbaren Rahmen hinaus). Da muß noch viel getan werden, damit die verstehen, daß sie nicht mit Frauen und nicht mit Gegenständen kämpfen sollen, sondern mit den Hitlerleuten. Im realen Leben ist das schwer zu erreichen, und deshalb bewegen wir uns oft auf reichlich unangenehmen Spuren, die die Voraustruppen hinterlassen haben.
Aber das ist alles unter uns gesagt. Diese Fragen bewegen mich im Augenblick mehr als alles andere, weil man so häufig auf sie gestoßen wird; oft muß man radebrechend (in einer «Mischung aus Deutsch und dem Russisch von Nischni Nowgorod» sozusagen) den Einwohnern klarmachen, daß das, was wir tun müssen, etwas ganz und gar Nobles ist, daß es uns nicht darum geht, Dinge an uns zu reißen und zu rauben usw. Letztlich sind das Lehrstunden der politischen Bildung, die damit enden, daß man über die Sowjetunion, unsere Gesetze, unsere Eroberungen und Errungenschaften auf allen Gebieten von Wissenschaft, Kultur und Technik erzählt.
Und bisher gab es kein Dorf und kein Städtchen, in dem die Leute bei unserem Abzug nicht aus den Häusern gekommen wären und uns verabschiedet hätten. Und daran sehen wir, daß sie von unserer Einheit einen guten Eindruck gewonnen haben. Also auch von der Roten Armee. Es grüßt Sie Ihr Boris
Der Rotarmist Wladimir Alexandrow
Ostpreußen
An seine Eltern bei Nowgorod
Seid gegrüßt, meine Lieben. Ich schick Euch meinen Gruß und wünsch Euch alles Gute und vor allem Gesundheit. Ich teil Euch mit, daß ich die Karte, die Ihr mir am 6. 4. 45 geschrieben habt, gekriegt hab, und den Brief, den Ihr am 8.4. 45 geschrieben habt, hab ich auch gekriegt. Für beides dank ich Euch. Diese zwei Briefe haben mich sehr gefreut, weil Ihr die Geschenke von mir gekriegt habt. Und vor allem, daß alles unversehrt angekommen ist, wie man so sagt, und nichts verlorengegangen ist. Ich hab mir doch große Sorgen gemacht, und ich sag Euch warum, Du, Vater, mußt allein an Hosen vier Stück kriegen und Hemden auch vier Stück, aber nu werd ich die Gewißheit haben: wenn der Sommer kommt, hat mein Vater was anzuziehen. Und von dem mitgeschickten Stoff kann er sich ein Hemd nach Maß nähen lassen. Ich weiß natürlich nicht, ob Ihr das Paket gekriegt habt oder nicht, wo fünf Meter Seide und sieben Meter blauer Stoff drin sind und dann noch drei Hosen und zwei Hemden. Na, und Mutter hab ich natürlich auch was geschickt, Kleider, vier Stück, seidene natürlich. Was sie damit macht, ist mir egal.
Und in einem andern Paket ist noch ein Kleid drin. Alles in allem hab ich ihr fünf Stück geschickt. Und auch noch Stoff, aus dem sie was nähen kann. Ich werd also die Gewißheit haben, daß Ihr was anzuziehen habt. Ihr müßt noch ein Paket von Pawel Alexejew kriegen. Na, Vater weiß wahrscheinlich von wem. Er muß es verstehen. Er hat Euch zwei Stück Stoff geschickt, roten Flauschstoff und eine Zeltplane, aus der man ein schönes Hemd nähen kann. Nu genug davon. Liebe
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