Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
tun? Wir trafen sehr viele Gruppen von Landsern jeder Art – das kam uns alles recht merkwürdig vor. Manche Kameraden fragten uns, woher wir kämen und wohin es hier ginge? Nach Altlandsberg! Sie staunten uns groß an – dort seien doch schon die Russen. Wir wußten von nichts! Wir haben mit vielen Kameraden gesprochen – die Stimmung oder gar die Hoffnung sind dahin. Manche Landser drücken sich sehr drastisch aus. Eine Kompanie zog sogar mit Gesang durch den Ort – als sei der Krieg schon zu Ende. Wo geht es nach Berlin? Wir sahen angetrunkene Offiziere, von Mannschaftsdienstgraden ganz zu schweigen. Wir wurden angestaunt – was wir hier überhaupt noch täten. Diese zurückflutenden Soldaten konnte niemand mehr aufhalten.
Das war also der 20. April und die Nacht darauf. Wer mag noch an den Geburtstag des Führers gedacht haben? Fast den ganzen Tag war es grau bedeckt – es gab kein «Hitlerwetter» mehr.
Der Reserveoffizier sbewerber
Helmut Vaupel *1928
Berlin-Kladow
Am 20. April, dem letzten «Führers Geburtstag», zogen wir zum Truppenübungsplatz Spandau und übten Scharfschießen auf lebensgroße Pappkameraden. Zwischendurch lagen wir unter Kiefern in Deckung, während über uns alliierte Bomberströme hinwegflogen Richtung Zentrum, um letzte «Geburtstagsgrüße» abzuladen. Als wir am Abend wieder in Kladow anlangten, trafen wir dort auf die ersten Reste unseres Regiments, die sich aus dem Zusammenbruch der Front gerettet hatten. Sie erzählten Furchtbares: vom Flächenbombardement der Stalin- orgeln, entsetzlichen Verlusten, vielen, vielen toten Kameraden, die noch vor zehn Tagen lebendig in die Schlacht gezogen waren, und daß der Feldwebel Braun, ein harter Mam bei der Ausbildung, geweint habe beim Anblick so vieler junger Opfer. In den folgenden zwei, drei Tagen trafen weitere Überlebende des Infernos ein; sie sollten sich wieder in der Kaserne sammeln, hatte man ihnen gesagt. Etwa 80 waren es schließlich, 80 von 800! Wir warteten nun allesamt weiter in lähmender Ungewißheit.
Der Offizier der Waffen-SS
Léon Degrelle 1906–1994
Berlin
Am Abend des 19. April 1945 legte mir General Steiner die Katastrophe in ihrer ganzen Ausdehnung dar. Die roten Panzer waren schon fast bis zum Ring, der bekannten Umgehungsstraße von Berlin gekommen.
Eine Reihe unserer Kameraden befand sich in dienstlichem Auftrag in Berlin. Mit ungewöhnlicher Kaltblütigkeit veröffentlichten sie noch am Vortage der Einschließung unsere Tageszeitung in französischer Sprache «L’Avenir». Ich sprang in meinen Volkswagen, um sie von der drohenden Gefahr zu unterrichten. Von meinem Befehlsstand brauchte ich anderthalb Stunden Fahrt bis Berlin. An den jammervollen Flüchtlingsströmen, die sich nach allen Richtungen ergossen, fuhr ich vorbei und traf um neun Uhr abends in der alten preußischen Hauptstadt ein.
Das Hotel Adlon war noch in Betrieb, trotz Bomben und Granaten, die nun schon in den Straßen einschlugen. Im strahlend erleuchteten Speisesaal richteten Kellner im Smoking und Oberkellner im Frack weiterhin feierlich und unerschütterlich violette Stücke Kohlrabi auf den großen Silberplatten besserer Tage. Alles blieb wohlgeordnet und gepflegt, ohne ein lebhaftes Wort und ohne ein Zeichen der Überstürzung.
Morgen oder übermorgen würde der Bau zweifellos in Flammen stehen. Oder aber die Russen würden sich in der vergoldeten Halle drängen. Aber diese Aussichten änderten nichts an der Führung dieses Hauses.
Es war wirklich schön. Die Haltung der Deutschen, ihre Selbstbeherrschung und das Gefühl für Disziplin bis in die sonderlichsten Einzelheiten hinein und bis zum letzten Augenblick werden für alle, die das Ende des Dritten Reichs erlebt haben, eine großartige menschliche Erinnerung bleiben.
Im zusammenbrechenden Berlin war nicht das geringste Zeichen einer Panik zu entdecken.
Und doch, wer konnte noch am Ausgang des Kampfes zweifeln? Die Verteidigungsstellungen in den Vororten waren lächerlich. Die Infanteriekräfte waren gering. Die Zahl der Panzer war unbedeutend.
Vor Küstrin war das letzte Bollwerk errichtet worden, nach dessen Überwindung war die Straße frei.
In der Nacht fuhr ich im Artilleriefeuer durch die Stadt. Ich kam sogar bis nach Potsdam. Keine Spur von Plünderung. Kein Zeichen von Revolte. Die Greise des Volkssturms und Knaben der Hitlerjugend erwarteten mit der Panzerfaust den Feind und waren ernst wie Deutschordensritter.
*
Elvira Stührmann-Boljahn
Berlin
Ich war
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