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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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sie alle von der Landstraße herunter auf den Fluß zu. Ich befahl Ruff, eine weitere grüne Leuchtrakete abzufeuern, und er tat es.
    Der Unteroffizier Schmied
bei Torgau
    Die beiden Kameraden wollten zum «Ami», der nur wenige Kilometer entfernt bei Düben stehen sollte.
    «Nein», sagte ich, «laßt davon ab, es ist Fahnenflucht. Es kann sowiesonur noch ein paar Tage dauern. Haben wir jetzt jahrelang unsere Pflicht getan, wollen wir nicht noch zuletzt zum Verräter am eigenen Volk werden. Wir melden uns hier beim Kampfkommandanten und sehen zu, daß wir mein Bataillon finden.»
    Wir schlugen nun einen Bogen um Dimmitzsch und sorgten für unser leibliches Wohl. Milch, Eier, Speck und Brot gab es überall, wo die Bauern noch da waren.
    «Wir geben’s euch gerne, denn sonst ißt es doch nur der Iwan.»
    Wir aßen uns dick und rund, und wir staffierten uns außerdem mit Brotbeuteln, Feldflaschen und Koppeln aus und wurden nun langsam wieder Soldaten.
    Gegen Mittag fanden wir im Wald eine Kiste Schweinefleischkonserven. Ein Trichterloch schien uns der geeignete Platz zum Mittagessen zu sein, und wir futterten jeder zwei Büchsen. Als Nachtisch knabberten wir Lebkuchen, dann ging eine geöffnete Zigarrenkiste reihum.
    Ein Unbekannter *1924
bei Berlin
    Ich ging in einen Wald, und da lag ein abgerissener Arm, mit Ärmel noch dran und Ärmelstreifen, am Baum lag der. Auf dem Ärmelstreifen stand «Frundsberg». Eine Leiche war nirgends zu sehen. Vielleicht gehörte der Arm einem Verwundeten, den sie abtransportiert hatten.
    *
    Erich Kessler
(KZ Theresienstadt)
    Heute erfuhren wir, daß Herr Dunand unversehens ins Lager kam, als die Elendstransporte ankamen. Er sagte zu dem ihn begleitenden Lagerkommandanten Rahm: «Das ist ja furchtbar!» Rahm sagte darauf nur trocken: «Sehen Sie, so kommen die Leute zu uns.» Als wenn er sagen wollte: «Und ich mache wieder Menschen aus ihnen.» [...]
    Das Versprechen des Judenältesten, daß durch die neu Angekommenen keine Verkürzung der Rationen eintreten wird, hat sich rasch als unrichtig erwiesen, da heute die Brotration allgemein auf 70 dkg für 4 Tage festgesetzt wurde. Bei uns Arbeitenden bedeutet dies eine Herabsetzung um 50%. Auch die Qualität der Speisen läßt zu wünschen übrig. Die Suppe von gestern abend war ganz leer und dünn. Da ist es kein Wunder, wenn die Vorräte des Paketes rapid schwinden. Nachmittags traf ich einen Bekannten, der mir erzählte, daß vor einer halben Stunde ein Mann einer Frau ein Paket über den Holzzaun, der das Ghetto von der übrigen Welt trennt, herübergereicht hat und hat ihr die Mitteilungüberbracht, daß die Alliierten von drei Seiten in Berlin eingedrungen sind. Hitler hat selbst die Verteidigung übernommen.
    Alisah Shek *1927
KZ Theresienstadt
    Früh 250 Frauen aus Dresden. Nachmittag Männer aus Dresden, Polen und Ungarn, «ganz gut». Früh Barackenbau Kommandantur. 40 sollen fahren. Wohin, wissen sie jetzt, seit vier Tagen ... Erste Ohrfeigen gesehen. Nachmittag abgeblasen, die Deutschen führen sämtliches Fressen mit. Und die Details fliegen hin und her, alle wissen, keiner weiß. Nur ein Grauen, Grauen, Grauen, ich kann nicht mehr denken, die gleiche Narkose wie im Oktober. Ich weiß nur jetzt, ich werde nach und nach erwachen. Jeden Tag kommt ein neuer Schmerz, eine neue Wunde wird wund. Ich bete, es solle jetzt nur gleich Sof [?] sein, damit wir nicht zum Erwachen kommen.
    Lagebesprechung
Berlin/Führerbunker
    Hitler: Südwestdeutschland ist brüchig. Auch mein Einfluß von Berchtesgaden hätte das nicht zu verhindern vermocht. Die defätistische Stimmung war früher da. Die verantwortlichen drei Männer leben nicht mehr. Sie haben die ganze Westfront von Anfang an verseucht gehabt, eine im Wohlleben verkommene Gesellschaft.
    *
    Olga Gindina 1902–1966
Moskau
    An ihren Mann
    Lieber Lasinka!
    Vielen Dank dafür, daß Du Dich um uns gekümmert und Leute geschickt hast. Folgendes haben sie gemacht: das Dach repariert, den verfaulten Balken an der Decke befestigt, alles verputzt und beide Zimmer gestrichen. Alle drei Fenster haben sie gestrichen, und die Zimmertür von innen. Über diese ganze Arbeit hinaus hat Iljewski den Herd zur Hälfte zerlegt, gereinigt, die Backsteine umgesetzt, alle Löcher mit Lehm zugeschmiert, und jetzt funktioniert er aufs neue großartig. Der zweite, Pjotr, hat mir aus Konservendosen zwei Krüge gemacht, und das Sofa haben sie repariert. Ich war ihnen so dankbar, daß ich gestern auf ihr Bitten

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