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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Rennes.
    Wir waren in der französischen Legion gegen Rußland, sagte der eine.
    Elias Canetti 1905 –1994
(London)
    Die Überwindung des Nationalismus liegt nicht im Internationalismus, wie viele bisher geglaubt haben, denn wir sprechen Sprachen. Sie liegt im Plurinationalismus.
    *
    Grete Dölker-Rehder 1892–1946
Neumühle/Allgäu
    In Wangen sei vieles frei verkauft worden, heißt es. Seit nachts 2 Uhr ständen die Leute vor den Läden.
    Hier hat die Panikstimmung sehr nachgelassen. Die große Käseverteilung und der Sonderverkauf ist vorbei. Wir sind wieder ruhiger geworden und gehen unserer täglichen Arbeit nach.
    Dieter Wellershoff *1925
Gollin /Schorfheide
    Am Morgen sammelt sich das Regiment in Gollin. Schweine werden geschlachtet, die in den Ställen zurückgeblieben sind. In einem Haus sitzt ein junges Mädchen bei seiner kranken Mutter. Es will sie nicht verlassen. Wir ziehen ab. [...]
    Das Regiment gerät wieder auseinander, vermischt sich mit Versprengten anderer Truppenteile. Neben mir läuft eine Zeitlang ein Soldat mit einem blutroten Verband. Ihm sind zwei Finger abgeschossen worden. Er versucht, Anschluß zu halten, bleibt aber immer weiter zurück. [...] Ich schleppe immer noch einen Karabiner mit mir herum. Viele haben ihre Waffen schon weggeworfen. Im Sand der Waldwege stecken Flüchtlinge mit ihren hochbeladenen Pferdewagen fest, Frauen und Kinder, einige alte Männer. «Soldaten, helft uns!» flehen sie uns an. Aber das ist sinnlos, und wir gehen weiter. Man wird zum Schwein, wenn es nur noch um das eigene Leben geht.
    Auf einmal galoppieren zwei reiterlose, gesattelte Pferde quer über den Weg. Sind das Kosakenpferde?
    Martin Bergau *1928
in der Mark
    Wir gelangten an eine höher gelegene Straßenkreuzung und fuhren den «Kettenhunden» direkt in die Arme. Neben einem Kübelwagen standen einige SS-Leute und verlangten unsere Papiere. Verängstigt holte der [RAD-]Unterfeldmeister den Marschbefehl hervor, aber damit kam er denen gerade recht. Sein Jammern und der Hinweis auf das jugendliche Alter seiner Schützlinge halfen überhaupt nichts. Die «Kettenhunde» hatten schon hinter einem abseits gelegenen Gehöft etwa hundertzwanzig Soldaten aller Waffengattungen aufgegriffen und wollten nun eine Auffangstellung bilden. Wir gesellten uns zu ihnen. In barschem Ton meinte ein SS-Sturmführer: «Sie stehen jetzt unter meinem Kommando, und merken Sie sich, ich habe eine weitreichende Pistole.»
    Ein Obergefreiter mit Wiener Dialekt fragte etwas hämisch: «Kameroden, woa san die deitschen Rückzugstroaßen?»
    Der Dramaturg Hugo Hartung 1902–1972
Breslau
    Sie bringen einen Deserteur in unseren Gefechtsstand. Es ist ein Breslauer Handwerker, Vater von mehreren Kindern, der versucht hat, sich der längst sinnlos gewordenen Verteidigung zu entziehen und sich für seine Familie aufzusparen. Der Mann hat ein gutes Gesicht und eine anständige Haltung. Nur als der Oberst ihn nach den Gründen seines Handelns fragt, antwortet er nicht. Er weiß, daß sein Schicksal besiegelt ist. Das Verhör nimmt eine üble Wendung, als ein junger Leutnant dazukommt, der den Mann in der unflätigsten Weise beschimpft und ihm erklärt, daß jede Kugel für ihn zu schade sei. Er gehöre, mit Chlorkalk bestreut, in eine Latrine gestopft. Am Abend kommt der Leutnant noch einmal in den Gefechtsstand, um zu fragen, ob das Standgerichtsurteil an dem Deserteur vollzogen wurde.
    *
    Der US-Lieutenant Albert L. Kotzebue †1987
an der Elbe
    Wir fuhren mit Höchstgeschwindigkeit über die Landstraße, die nördlich von Strehla zur Elbe führt. Wir machten den Strom aus, als wir bis auf einige hundert Yards heran waren, und sofort blickten wir angestrengt über ihn hinweg. Ich sah die Überreste einer Pontonbrücke und die Wracks einer Fahrzeugkolonne auf einer Landstraße, die parallel zum Ostufer verlief. [...]
    Durch meinen Feldstecher erkannte ich Männer in braunen Feldblusen. Ich wußte, daß es Russen waren, denn jemand hatte mir erzählt, die Russen trügen ihre Orden während des Kampfes. Und Orden blitzten auf den braunen Blusen im Sonnenlicht. Ja, das waren Russen. Es war jetzt 12.05 Uhr.
    Ich befahl dem Gefreiten Ed Ruff, zwei grüne Leuchtraketen abzuschießen – das war das Erkennungszeichen, auf das sich die amerikanische und die russische Armee vor kurzem geeinigt hatten. Die Amerikaner sollten grüne Leuchtraketen benutzen, die Russen rote. Die Russen antworteten nicht mit roten Leuchtraketen. Statt dessen kamen

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