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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hin mit ihnen eine Exkursion gemacht habe: Zuerst habe ich ihnen das Zentrum gezeigt, den Roten Platz usw., und dann habe ich ihnen die interessantesten Stationen (der Metro) gezeigt. Ihnen hat es, scheint’s, gut gefallen.
    Einige Tage lang funktionierte das Radio bei uns nicht, und die Nachrichten über den Marsch nach Berlin hörten wir bei Wera Iwanowna. Aber Iljewski hat auch das in Ordnung gebracht, und seit gestern läuft das Radio. Nur mit dem Strom sieht es schlecht aus. Strom gibt es am Tag für 3–4 Stunden, dann schalten sie wieder ab.
    Der Geschäftsmann Paul S.
Lienewitz /westlich Berlin
    Brieftagebuch
    Heute wieder Sensationsnachrichten. Diese aufzuzählen ist zwecklos, da sie sich alle widersprechen. Nun ist’s genug. Alle Menschen aus allen Gegenden strömen in unseren Wald und verstecken sich wie waidwundes Wild. Wir haben uns auch entschlossen und bauen eine Hütte dort, wo man von der Küche um die Bucht in dichtes Schilf kommt.
    Die Hütte ist fertig. Einzug mit Betten und allem Zigeunerkomfort. Mit Schilf getarnt. Dach aus Brettern, wasserdichte Zeltplanen als Wände. Alles unter dem Donner der Geschütze, Panzerabwehrkanonen, Panzer, Panzerfaust, Infanteriefeuer, Maschinenpistolen usw.
    Gute Nacht, Euer Papi
    Gisela Grössel *1933
Ramhof bei Donauwörth
    Wir gehen in den Wald, wo die Männer einen Holzbunker gebaut haben. Die Granaten pfeifen, und ich habe Angst. Erst am Abend dürfen wir wieder nach Hause. Wir versinken in einen tiefen Schlaf.
    Ein Unbekannter
Kaulsdorf/östlich Berlin
    Wir schlafen wieder im Keller des Pfarramts. Luise auf einem Stuhl. Ich auf einem Kinderdrahtbettgestell. Wir trinken noch vorher mit dem Onkel P. und Frl. L. unsere letzte Flasche Wein. Bald darauf trage ich mit dem Kirchendiener die Leiche eines Mannes, der soeben gestorben ist, in den Vorraum der Kirche.
    Der dänische Journalist
    Jacob Kronika 1897–1982
Berlin
    Der Tag von San Franzisco! Tagung eines werdenden Völkerbundes? [...]
    Wir befinden uns in unmittelbarer Nachbarschaft der Zoo-Flaktürme [...] also mitten in der Tiergartenfestung. Der Bunker ist am Rande des eigentlichen Tiergartens erbaut. Zum Landwehrkanal ist es nicht weit. Bis zur dänischen Gesandtschaft sind es nur einige Minuten. Die spanische Botschaft, das Büro von Reichsminister Speer und die Gesandtschaftder Schweiz sind die nächsten Nachbarn des Bunkers. Die Palais der spanischen und schweizerischen Vertretung haben schwere Bombentreffer erhalten.
    Eine Weile müssen wir einem dreiundsechzigjährigen Feuerwehrmann Asyl gewähren; er ist durch Bombensplitter schwer verwundet worden. Er stöhnt furchtbar. Eine Schlagader ist getroffen [...]
    Mit dem Personal der Legation wird ausgemacht, daß einige große Danebrog-Fahnen auf dem Dach des Gesandtschaftsgebäudes ausgebreitet werden sollen, da die Russen ihre Tagesangriffe in sehr geringer Höhe fliegen. Diese Maßnahme wird schnellstens durchgeführt.
    Zu essen und trinken haben wir genug. Das ist auch im Krieg eine gute Sache! Der dänische Sekretär der Kriegsgefangenenhilfe, Christian Christiansen, der bei den Schweden wohnt, versieht uns mit englischen und amerikanischen Zigaretten.
    Gegen Abend müssen wir für einige Stunden im Bunker Deckung suchen. Es hagelt Bomben und Granaten. Wir schließen alle vier Stahltüren; jeder Eingang hat deren zwei. Selbst hinter den dicken Mauern vernimmt man den Lärm von draußen sehr deutlich. Wenn ein Splitter den Bunker trifft, dann klingt es, als wenn Metall gegen einen hohlen Stahlkörper schlägt. Wir fühlen uns trotz allem vollkommen geborgen. Der Bunker kann allerlei aushalten, das wissen wir. Als wir endlich wieder die Tür öffnen können, stellt es sich heraus, daß ein in der Nähe befindliches deutsches Munitionsdepot getroffen worden ist. Über eine Stunde lang explodieren die im Tiergarten gelagerten Geschosse. Es ist ein tolles Krachen.
    Ringsum brennt alles; in Schöneberg, Wilmersdorf, Charlottenburg und Moabit.
    Die Zoo-Flak schießt nicht mehr so häufig. Ob Munition gespart werden muß?
    *
    Dr. Meerfeld
Gönningen
    Mittwoch, den 25. April, verabschiedete sich der Franzose Gaston von uns, der fast fünf Jahre als Metzger bei Herrn Anstätt gearbeitet hatte, ein hochanständiger Mensch, dem der Abschied von der Familie offensichtlich schwer fiel. Er wurde mit einem Sammeltransport nach Frankreich zurückgebracht.
    Ursula von Kardorff 1911–1988
Günzburg/Donau
    Saß vorhin mit Bürklin unter einem blühenden Apfelbaum

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