Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
und Wladimir Lyssow zur Anlegestelle der Fähre, wo sich die Amerikaner befanden. Es handelte sich um eine von Lieutenant Albert Kotzebuegeführte Patrouille des 273. Infanterieregiments der 69. Infanteriedivision der 1. Armee der USA. Es dauerte nicht lange, da hatten sich viele unserer Soldaten und Offiziere zu uns gesellt.
Wir waren alle sehr aufgeregt. Ehrfürchtig betrachteten die amerikanischen Soldaten unsere Gardeabzeichen, Orden und Medaillen, fragten nach den Bezeichnungen und wollten wissen, was die roten und gelben Tressen an den Feldblusen bedeuteten. Als sie erfuhren, daß das Verwundetenabzeichen waren, äußerten sie sich begeistert über das Heldentum unserer Soldaten.
Auf Zeltbahnen, die auf der Wiese ausgebreitet worden waren, wurden russischer Wodka und ein einfacher Imbiß serviert. Dann brachten die amerikanischen und unsere Soldaten Trinksprüche aus – darauf, daß nie wieder Krieg sein möge, auf die im Kampf gegen den gemeinsamen Feind mit Blut besiegelte Freundschaft, auf den Frieden. Besonders herzlich und überschwenglich zeigte sich der amerikanische Soldat Joseph Polowsky, Stellvertreter des Patrouillenführers. Er dankte den sowjetischen Soldaten für ihren im Namen des Friedens geführten Kampf gegen den Faschismus. Er sprach deutsch, und seine Worte wurden von unserem Dolmetscher übersetzt.
Polowsky bat mich, ihm zum Andenken mein Foto zu schenken. Leider hatte ich keins. Oberstleutnant Jakow Koslow half mir mit einem Foto unserer Regimentsführung aus der Verlegenheit. Ich schrieb eine Widmung darauf und überreichte es dem sympathischen Amerikaner.
Der US-Soldat Joseph Polowsky
bei Strehla an der Elbe
Es war kaum zu glauben. Als wir uns dem Elbufer näherten, kam mit Macht der Flieder zum Blühen. Diese ungeheure Erregung, wieder zu leben, nach all den Tagen, da wir in der Falle der Stellungskämpfe gesessen hatten! Man hörte sogar scherzen, es ginge zum Jordan und dann hinein nach Kanaan. Wir wußten, daß an diesem Tag, am 25. April, in San Francisco die Vereinten Nationen gegründet wurden. Genau an dem Tag, an dem wir mit den Russen an der Elbe zusammentrafen. [...] Die Elbe ist ein schnellfließender Strom, so um hundertfünfundsiebzig Yards breit. [...] Fünfzig Yards nach rechts und links war das Gelände mit Leichen buchstäblich bedeckt – Frauen, alte Männer, Kinder. Ich erinnere mich noch heute an ein kleines Mädchen, das mit einer Hand eine Puppe umklammert hielt – gerade vor mir, es kann nicht älter als fünf, sechs Jahre gewesen sein, und mit der anderen Hand klammerte es sich an seine Mutter. Die Toten lagen aufgestapelt wie Klafterholz am Ufer.
In diesem historischen Augenblick des Treffens zweier Nationen schworen alle anwesenden Soldaten feierlich – einfache Soldaten, Amerikaner und Russen –, daß sie alles in ihren Kräften Stehende tun würden, damit so etwas nie wieder auf der Welt geschehe. Wir versprachen einander, daß die Nationen der Erde in Frieden leben sollten und müßten. Das war unser «Schwur an der Elbe».
Es war ein sehr zwangloser, aber auch feierlicher Augenblick. Den meisten standen die Tränen in den Augen. Vielleicht hatten wir eine Vorahnung davon, daß in Zukunft nicht alles so vollkommen verlaufen würde, wie wir es erwarteten. Wir umarmten einander. Wir schworen uns, nie zu vergessen. [...]
Ich war von dem Ereignis so gefangengenommen, daß ich es bis heute nicht vergessen habe. Es hat meinem Leben Farbe gegeben.
Der Bildreporter Allan Jackson
Torgau
Weil alle Brücken gesprengt worden waren, überquerten Ann und ich die Elbe in einem heruntergekommenen Ruderboot, das anscheinend irgendwann eine Art von Rennboot gewesen sein mag. Auf der russischen Seite gerieten wir in einem alten Gebäude in eine Party, die in vollem Gange war. Es floß der Wodka, und auf den Tischen standen allerlei Speisen. Wir trafen auf einige amerikanische Soldaten und Offiziere von niederem Rang, keine hohen Tiere, und, was für uns sehr wichtig war, keiner von ihnen war ein Korrespondent. Russische Soldaten in den verschiedensten Uniformen, die jede Sorte von Waffen trugen, gab es haufenweis. Sie waren alle sehr freundlich. Aber die Sprachbarriere erschwerte die Unterhaltung. Meistens wurde das Gespräch in gebrochenem Deutsch geführt.
Ich entschied mich dafür, daß das Zusammentreffen am besten dargestellt werden konnte, wenn wir einige amerikanische und russische Soldaten auf der zusammengebrochenen Brücke einander die Hände reichen
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